Will & Will
hattest. Dazu kann ich nur sagen, dass jede Wissenschaft streiken muss, wenn es um die Rätsel der Psychologie von Jungs geht.«
Aber ich habe tatsächlich eine wissenschaftliche Frage an sie – und die betrifft Tiny und mich und sie und Katzen. »Kannst du mir bitte das mit Schrödingers Katze erklären?«
»Komm mit«, sagt sie, fasst mich am Ärmel und zieht mich zum Bürgersteig. Ich gehe neben ihr her und sage nichts und sie murmelt in einem fort: »Mann Mann Mann Mann Mann Mann«, und ich frage schließlich: »Was ist los?«, und sie sagt: »Du. Du, Will Grayson. Das ist los«, und ich frage: »Warum denn?«, und sie sagt: »Du weißt schon«, und ich sage: »Nein, tu ich nicht«, und sie – während sie immer noch neben mir hergeht, ohne mich anzuschauen – sagt: »Es gibt bestimmt genug Mädchen, denen es nicht passt, wenn Jungs an einem Dienstagabend einfach so bei ihnen zu Hause aufkreuzen, um ihnen irgendwelche Fragen über Erwin Schrödinger zu stellen. Ich bin mir sicher, dass es jede Menge von solchen Mädchen gibt. Du hast Glück, dass das bei mir anders ist.«
Wir gehen an fünf, sechs Häusern vorbei und sind schon fast an meinem Auto, als Jane rechts abbiegt und auf ein Haus mit einem »Zu verkaufen«-Schild zusteuert. Sie geht die Stufen hoch, setzt sich auf die Verandaschaukel und klopft auf den freien Platz neben sich.
»Wohnt hier niemand?«, frage ich.
»Nein. Das Haus steht seit einem Jahr zum Verkauf.«
»Wahrscheinlich hast du auf dieser Schaukel mit dem Warmduscher rumgeknutscht.«
»Könnte sein«, antwortet sie. »Schrödinger hat ein Gedankenexperiment gemacht. Also, da war nämlich gerade diese These aufgekommen, mal angenommen ein Elektron kann an jedem beliebigen von vier unterschiedlichen Ort sein, dass es dann an all diesen vier Orten gleichzeitig ist, bis zu dem Augenblick, wo jemand bestimmt, an welchem der vier Orte es sich befindet. Kommst du mit?«
»Nein«, sage ich. Sie hat kurze weiße Söckchen an und ich kann ihre Knöchel sehen, wenn sie die Füße hochschleudert, damit die Schaukel in Bewegung bleibt.
»Ganz genau, da kommt nämlich keiner mit. Es ist eine total knifflige Angelegenheit. Also hat Schrödinger das anders zu erklären versucht. Er hat gesagt: Stellt euch vor, man steckt eine Katze in eine fest verschlossene Schachtel, in der sich etwas radioaktives Zeugs befindet, das vielleicht, vielleicht aber auch nicht – je nach Position seiner subatomaren Partikel – einen Geigerzähler dazu veranlasst, gegen einen Hammer zu stoßen, der Gift in der Kiste freisetzt, und dann ist die Katze tot. Mitgekommen?«
»Glaub schon«, sag ich.
»Also, und gemäß der Theorie, dass Elektronen sich in allen möglichen Positionen befinden, bevor sie gemessen werden, ist die Katze gleichzeitig tot und lebendig, bis wir die Schachtel öffnen und herausfinden, ob sie tot oder lebendig ist. Schrödinger wollte damit nicht sagen, tötet Katzen oder so was. Er wollte nur zeigen, wie unsinnig es ist, dass eine Katze gleichzeitig tot und lebendig sein soll.«
Aber mir kommt das überhaupt nicht unsinnig vor. Mir kommt es eher so vor, als wären alle Dinge, die wir in fest verschlossenen Schachteln aufbewahren, gleichzeitig tot und lebendig, bis wir die Schachtel öffnen. Was wir nicht wahrnehmen, ist gleichzeitig vorhanden und nicht vorhanden. Vielleicht muss ich deswegen immer an die riesengroßen Augen des anderen Will Grayson bei Frenchy’s denken: weil sich in dem Augenblick herausgestellt hatte, dass seine gleichzeitig-tote-und-lebendige Katze tot war. Mir wird klar, dass ich mich deswegen immer vor einer Situation drücke, in der ich Tiny als Freund wirklich brauchen würde, und warum ich mich lieber an meine beiden Regeln gehalten habe, statt Jane zu küssen, als sie das auch wollte. Besser die Schachtel bleibt fest zu. »Okay«, sage ich und schaue sie dabei nicht an. »Ich denke, ich hab’s kapiert.«
»Aber das ist noch nicht alles. Die Geschichte ist nämlich noch komplizierter.«
»Ich glaub nicht, dass ich schlau genug bin, um es noch komplizierter zu verkraften«, sage ich.
»Unterschätz dich nicht«, sagt sie.
Die Schaukel stöhnt und ächzt, während ich über alles nachdenke. Ich schaue sie an.
»Man hat nämlich schließlich herausgefunden, dass die Schachtel verschlossen zu halten gar nicht bewirkt, dass die Katze gleichzeitig tot-und-lebendig bleibt. Selbst wenn nämlich du die Katze nicht beobachtest, um zu wissen, in welchem Zustand sie
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