Wille zur Macht
Herrlich erhoben sich ihnen gegenüber seine steilen Ränder gen Himmel. Das Ufer war dicht bewachsen und der den herannahenden Abend ankündigende, sich verdunkelnde Himmel ließ in den letzten Sonnenstrahlen die vielen Grüntöne noch satter und dunkler erscheinen.
Alle drei bestellten sich Gallo Pinto , ein landesübliches Gericht aus Reis mit dicken, roten Bohnen und einem Spiegelei, manchmal ergänzt um ein paar Scheiben gebratener Kochbananen. Dazu natürlich Bier. Die Bedienung war ein wenig verwundert über ihre Wahl, denn die Nicaraguaner pflegten Gallo Pinto eher zum Frühstück zu essen. Aber das wussten die drei Brigadisten noch nicht. Sie wollten ihren letzten Abend in Managua noch einmal genießen. Wer sollte es ihnen verdenken? Denn bald würden sie es nicht mehr so komfortabel haben werden. In San Martin sollte es weder Strom noch fließend Wasser geben. Dafür aber sehr viel rote, matschige Erde.
Am nächsten Morgen waren alle sehr früh wach, obwohl bis zum Eintreffen des Lkw noch einige Stunden vergehen sollten. Sie waren eben aufgeregt, denn nun ging es wirklich los. Gegen neun Uhr erschien endlich ein gelber Mercedes-Lkw mit Fahrerkabine und einer Pritsche. Er hatte eine runde Motorhaube und noch rundere Kotflügel – ein Hinweis auf sein Alter. Renate diskutierte mit dem Fahrer die Sicherheitslage der Straßen außerhalb Managuas. Zum einen galt es, kämpferischen Auseinandersetzungen der sandinistischen Truppen mit der Contra auszuweichen, zum anderen waren die Straßen außerhalb der Hauptstadt und insbesondere in dem Gebiet, in das sie sich begeben wollten, nur als Pisten zu bezeichnen, die häufig aufgrund der Regenfälle schwer befahrbar waren. Mit Genugtuung stellte Renate fest, dass der Lkw allradangetrieben war, was ihre Fahrt mit Sicherheit erleichtern würde.
Die Ladefläche war mit hölzernen Spriegeln versehen, und hinter der Fahrerkabine befand sich eine zusammengeschobene Persenning. Wenn die Hitze zu groß werden sollte, konnte man sie schattenspendend über die Ladefläche ziehen. Oder zum Schutz vor Regen. Aber erst einmal sollte sie offen bleiben, denn alle Brigadisten wollten die Landschaft und die Umgebung sehen, durch die sie fahren würden.
Sie verließen die Stadt in östlicher Richtung, passierten noch einmal die Umgebung des Flughafens und bogen dann auf die Straße nach Teustepe ab. Ihr nächster Halt sollte in der etwa einhundertvierzig Kilometer entfernten Stadt Juigalpa sein.
Hinter Teustepe wurde die Straße schlechter. Die Landschaft veränderte sich drastisch. Nur noch vereinzelt waren Häuser zu sehen, in einiger Entfernung sah man manchmal kleine Dörfer. Die Vegetation wurde dichter und undurchdringlicher. Der Weg führte bergauf, und nur einmal konnten die Brigadisten den westlich gelegenen, riesigen Lago de Nicaragua im hellen Sonnenlicht blitzen sehen, auf dem eine ehemalige Flussfähre aus Bremen ihren Dienst versah. Ein Geschenk der Solidaritätsbewegung.
Der Lkw tat sich schwer, manche Steigungen zu nehmen. Der alte Diesel kämpfte sich aber unermüdlich hoch. Außer ihnen war fast niemand mehr auf der Straße. Lediglich ab und zu kam ihnen einer der klapprigen Überlandbusse entgegen oder wurde von ihnen überholt. Vollgestopft mit Menschen, Kleintieren und großen, in Folien eingeschlagenen Paketen auf dem Dach. Die Schaffner standen immer außerhalb der Beifahrertür auf einem Trittbrett und hielten Ausschau nach Fahrgästen oder auch unangenehmen Überraschungen. Alle Schaffner, denen die Brigadisten begegneten, litten unter einer Bindehautentzündung, da sie während ihrer gesamten Arbeitszeit draußen im Fahrtwind standen.
Häufiger fielen in dieser Gegend nun IFAs in olivgrün auf. Militärlastwagen aus DDR-Fertigung, die dem befreiten Nicaragua von dort zur Verfügung gestellt worden waren. Ein sicheres Zeichen dafür, dass die Gegend gefährlicher wurde.
Aufgrund der schlechten Straßen und des betagten Lkws dauerte es mehrere Stunden, bis die Gruppe endlich Juigalpa vor sich sah. Der Nachmittag hatte schon begonnen, als sie die gepflasterte Hauptstraße Juigalpas erreichten und nach dem Büro des CNSP Ausschau hielten. Das Comité Nicaraguense de Solidaridad con los Pueblos war der örtliche Ansprechpartner für die Brigadisten. Von dort erhielten sie ihre Instruktionen und Hilfe für die weitere Reise. Ihr Lkw fuhr langsam die Straße entlang, die in einem tiefen Bogen hinab ins Zentrum führte und auf der anderen Seite wieder
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