Wille zur Macht
Brigadisten.
Am rechten Straßenrand stand ein aus Brettern zusammengenageltes Schild. Es hing schief, und mit schwarzer Farbe hatte man den Namen der Stadt daraufgepinselt. Diese Stadt konnte einem Vergleich mit Juigalpa nicht standhalten. Hier gab es keine befestigten Straßen, keine aus Stein gemauerten Häuser. Alles war durch den Regen verschlammt. Die wenigen, in großen Abständen an der Hauptstraße stehenden Hütten waren aus Holzbrettern zusammengenagelt. Ihre Dächer meistens aus Wellblech. Die Hütten standen auf Pfählen. Unter manchen lagen Schweine im Schlamm herum, aufgeregte Hühner rannten umher. Vereinzelt waren kleine, magere Pferde an den Häusern angebunden. Elektrizität und fließendes Wasser gab es hier nicht. Der Blick in die Ferne führte zu grünen, dichtbewachsenen Hügeln und Bergen, die die Stadt umgaben.
Die Brigade wurde in einer geräumigen Hütte untergebracht, die eigentlich eine Kfz-Werkstatt war und von ein paar westdeutschen Mechanikern aufgebaut wurde. Vom Dach wurde das Regenwasser durch eine Rinne in ein altes, blaues Ölfass geleitet. Die Trinkwasserversorgung.
Sie hörten, dass ganz in der Nähe ein kleines Krankenhaus sein würde, in dem auch deutsche Ärzte arbeiteten. Einige Brigadisten entschlossen sich, es aufzusuchen. Sie bahnten sich in ihren Gummistiefeln einen Weg durch das matschige Gras zwischen den Hütten und sahen alsbald von weitem zwei große Holzbaracken, vor denen die Fahnen der FSLN und des Roten Kreuzes nass in der Windstille hingen.
Auf der überdachten Veranda vor einem der Gebäude saß auf einer Holzbank ein erschöpfter, blonder Mann, sein Gesicht in die Hände gestützt. Er war wahrscheinlich um die dreißig, kam aus der Bundesrepublik und hatte sich freiwillig einer Ärztebrigade in Nicaragua angeschlossen. Er berichtete, dass mehr als die Hälfte seiner Operationen Schussverletzungen beträfen. Und dass er zunehmend persönliche Schwierigkeiten damit hätte, verletzte Angehörige der Contra zu behandeln. Zu oft war er in den letzten Wochen mit ihren Gräueltaten an der Zivilbevölkerung konfrontiert worden. Schwangere Frauen, denen mit Macheten ihre ungeborenen Kinder aus dem Leib geschlagen wurden. Kleine Kinder, neben deren Köpfen Gewehrgranaten abgefeuert wurden und denen die Hälfte ihres Gesichtes dadurch wegflog oder verbrannte. Zu diesen Belastungen kamen die schwierigen Operationsbedingungen. Wenn ihr benzingetriebener Generator ausfiel, mussten sie mit Taschenlampen im Mund operieren. Der Stromverbrauch ihres einzigen Röntgengerätes war so hoch, dass sie während seines Betriebs alle anderen Verbraucher abschalten mussten.
Ein weiteres, großes Problem war die Herstellung von Sterilität in ihrem provisorischen Operationssaal. Es gab keine Klimaanlage, und die schwüle Luft erschwerte die Bekämpfung von Keimen und Bakterien. Ganz zu schweigen von den relativ einfachen Bestecken, mit denen sie arbeiten mussten, und die sämtlich aus Spenden aus Deutschland stammten. Gebrauchtes Material, das in deutschen Krankenhäusern nicht weiter verwendet werden sollte.
Die Brigadisten ahnten, dass sie jetzt in einer Realität angekommen waren, die ihnen nicht nur nicht vertraut war, sondern die eindeutig auch bedeutete, dass es ab nun immer galt, selbst für alles die Verantwortung zu übernehmen. Ein hilfreicher Staat mit den in europäischen Gesellschaften gewohnten Vorkehrungen stand ihnen hier nicht mehr zur Verfügung. Sie fühlten, dass sie sehr auf sich gestellt sein würden, wenn sie in San Martin angekommen sein würden.
Der junge Arzt gab einem von ihnen ein paar Briefe mit einer Bitte mit: Sie sollten sie einem Brigadisten geben, der, nachdem sie San Martin erreicht hatten, wieder nach Managua zurückkehren würde. Dort könnte er die Briefe einem heimreisenden deutschen Brigadisten in die Hand drücken, der sie zu Hause aufgeben sollte. Hier in der Region gab es keine funktionierende Post mehr.
Zurück in der Werkstatt, war ein kräftiger Kaffeegeruch wahrzunehmen. In einer großen, mit Erde gefüllten Kiste loderte ein Holzfeuer, in dem ein rechteckiger Kanister stand. In ihm kochte so langsam ein starker Kaffee zurecht. Bier gab es hier in Nueva Guinea nicht. Schon lange war kein entsprechender Transporter bis hierher gekommen. Auch fehlte es an Kühlmöglichkeiten.
Der Kaffee war heiß und kräftig. Man musste schon viel Zucker hineingeben, um ihn genießen zu können. Aber er tat trotz der Wärme gut und belebte die
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