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Wille zur Macht

Wille zur Macht

Titel: Wille zur Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Schlosser
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genagelt wurden. Die Konstruktion auf Pfeilern verhinderte, dass zu viel Ungeziefer die Bewohner heimsuchte und bot auch Schutz vor den schweren Regenfällen. Auf die Bohlen wurde ein einfaches Balkengerüst aufgesetzt, das anschließend mit Brettern verkleidet wurde. Als Dächer dienten Wellblechplatten, die von der katholischen Kirche gespendet worden waren. Auf dem Bauplatz kam ihnen eine Gruppe Kinder entgegen. Fast nur Mädchen. Während die Brigadisten schon am zweiten Tag überall mit Lehm verdreckt waren, sah die Kleidung der Kinder ausgesprochen sauber aus. Ein Phänomen, das allen schon in Nueva Guinea aufgefallen war. Den Menschen gelang es auf eine für die Brigadisten unerklärliche Weise, immer in ordentlicher und sauberer Kleidung herumzulaufen.
    Aus sicherem Abstand beäugten die Kinder die Brigadisten. Für sie sahen sie sehr merkwürdig aus, aber sie waren ihnen willkommen, denn sie bauten ihnen die neuen Häuser. Wenn einer aus der Brigade ihnen zuwinkte, lachten sie kurz alle auf, rannten weg und kamen nach kurzer Zeit wieder heran.
    „Es sind hauptsächlich Mädchen, die hier mit ihren Eltern ankommen“, erklärte Renate. „Ihre Brüder werden von der Contra meistens gleich umgebracht, damit aus ihnen keine Soldaten werden können.“
    Schrecklich, dieser Bürgerkrieg, dachte Dunker. Er erinnerte sich, auf einem der Vorbereitungstreffen in Deutschland eine Zeitungsanzeige in einem englischen Magazin für Söldner gesehen zu haben. Auf einem Photo war ein kleines, nicaraguanisches Mädchen abgebildet. Die Bildunterschrift lautete: „Das ist Juanita. Juanita ist eine Waise. Wenn Du willst, dass es noch mehr Kinder wie Juanita gibt, dann komm zu uns.“ Dann wurde die Adresse einer Rekrutierungsstelle für die Contra angegeben.
    Was diese kleinen Kinder wohl schon alles erlebt hatten? Dass sie überhaupt noch so fröhlich sein konnten? Er wurde bedrückt. Aber er spürte in sich zum ersten Mal auch den Willen, diese Kinder zu verteidigen, wenn das Dorf angegriffen werden sollte. Auch wenn er kein Soldat war und bestimmt nicht viel gegen die Contra ausrichten konnte, so war er trotzdem fest entschlossen, seinen Beitrag zu leisten. Dafür war er hier.
    Die meisten Mitglieder der vorherigen Brigade hatten San Martin schon verlassen und reisten in den sicheren Teilen des Landes herum oder waren nach Hause geflogen. Doch ein paar waren noch geblieben, um die Neuankömmlinge auf der Baustelle einzuweisen. Dazu gehörte auch, sich mit den Werkzeugen vertraut zu machen. Hier gab es bis auf einige Motorsägen keine Maschinen. Alles musste von Hand gesägt und genagelt werden. Martin, der Zimmermann, sollte zukünftig die Bauleitung übernehmen und gegebenenfalls die Konstruktion der Häuser verbessern. Einem anderen wurde die Verantwortung für die Werkzeuge übertragen. Ihr guter Zustand war mitentscheidend für das effiziente Arbeiten der Brigade. Sein Vorgänger, Josef, ein muskelbepackter Kerl aus dem Schwarzwald, übergab den Schlüssel für das Werkzeuglager. Trotz seines beeindruckenden Körperbaus war Josef kaum in der Lage, hundert Schritte zu gehen. Er hatte sich mit Hepatitis angesteckt und war sehr schwach. Eine angemessene medizinische Versorgung gab es hier in San Martin nicht für ihn. In den nächsten Tagen wollten sie versuchen, Josef auf einem Maultier in eine drei Kilometer entfernte Garnison des Militärs zu bringen. Ein Tagesmarsch in dieser Gegend. Und nicht ungefährlich.
    Die letzten Stunden des Nachmittags verstrichen schnell. Die Nacht brach plötzlich und sehr schwarz über sie herein. Ab sieben Uhr abends war fast nichts mehr in der Umgebung zu erkennen. Ein schwacher Mond schickte ein wenig Licht durch die Regenwolken des Nachthimmels. Die Sicht ins Gelände betrug nur wenige Meter. Das einzige, was deutlich zu erkennen war, war die schwarze Silhouette der Baumkronen ringsherum, die sich gegen den matt schimmernden Himmel abhoben.
    Beim Abendessen im Schein einiger selbstgebauter Öllampen erkundigte sich eine Brigadistin bei Renate, wer denn der Reiter gewesen war, den sie am Nachmittag gesehen hatten. Merkwürdigerweise war Renate nicht davon begeistert, zu diesem Thema Erklärungen abzugeben. Aber nun drängten auch andere Brigadisten auf eine Antwort, und deutlich ihr Unbehagen zeigend, erläuterte sie die Zusammenhänge.
    Der Reiter war ein Genosse aus Hamburg, den sie hier alle nur noch den „Colonel“ nannten. Als er vor etwa vier Monaten hierher in die Brigade kam,

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