Wille zur Macht
Christian nicht in Ordnung ist. Es besteht nur ein vermutetes Restrisiko. Aber um es gleich vorwegzunehmen: Die Entscheidung ist schon gefällt. Christian muss die Brigade verlassen.“
Dunker stützte seine Ellenbogen auf die Tischplatte und ließ sein Gesicht in die Hände fallen. Er wusste, dass er nichts mit der Contra zu tun hatte und ihm rein gar nichts vorzuwerfen war. Diese Entscheidung des Militärs machte ihn sehr traurig. Was sollte er denn jetzt zurück in Deutschland machen?
Martin sah, wie schwer Dunker dieser Vorwurf traf und erhob sich. „Ich habe mit Christian hier gearbeitet, Nachtwachen mit ihm gemacht und kenne ihn aus den Vorbereitungstreffen in Hamburg. Ich lege meine Hand für ihn ins Feuer. Er muss hierbleiben!“
Einige andere Brigadisten stimmten ihm zu. Sie wollten nicht hinnehmen, dass ohne weitere Erklärungen ein Mitglied der Brigade so schwer belastet wurde.
„Sie sollen erst mal ihre Beweise vorlegen! Dann sehen wir weiter!“ rief ein anderer.
Renate schüttelte den Kopf. „So geht das hier nicht! Wenn es Beweise gäbe, würde Christian verhaftet werden. Es geht nur darum, Risiken auszuschließen. Schließlich zur Sicherheit aller hier! Und das Militär diskutiert nicht mit uns. Sie geben ihre Anweisungen, und wir haben sie zu befolgen.“
Christian Dunker war den Tränen nahe, aber er riss sich zusammen. „Wie geht das dann jetzt weiter?“ fragte er mit belegter Stimme.
Renate sah, wie bedrückend er diese Situation empfand. Er tat ihr leid. „Ich kann es nicht ändern, Christian. Morgen früh gehst du zu einem Treffpunkt nordöstlich von hier. Einmal am Tag kommt da eine camionetta vorbei, die dich nach Nueva Guinea bringt. Eventuell auch gleich bis Managua. In Managua musst du dein Ticket auf den schnellstmöglichen Rückflug umbuchen.“
„Ich laufe hier doch nicht alleine durch den Dschungel und suche einen Platz, den ich nicht einmal kenne!“ entgegnete Dunker jetzt merklich sauer.
Renate verstand seine Entrüstung, aber ihr blieb keine andere Wahl. „Einer aus der Dorfmiliz wird dich begleiten und dir den Weg zeigen. Er bleibt bei dir, bis der Wagen dich mitgenommen hat.“
Dunker beschlich ein Gefühl der Angst. Der Kommandant der Miliz war tot, ein anderer hatte die Führung bestimmt schon übernommen. Vielleicht hatte der Milizionär den Film gestohlen, und nun sollte ein Angehöriger seiner Truppe ihn alleine durch den Urwald begleiten.
Dunker wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Würde es nun noch etwas bringen, allen zu erzählen, was er während seiner Wache gesehen hatte? Würden sie ihm das glauben, oder machte ihn das nur verdächtiger? Sie würden sich fragen, warum er nichts unternommen hatte. Warum er nicht früher davon gesprochen hatte. Sein Schweigen könnte falsch ausgelegt werden. Die Stimmung in der Brigade könnte sich gegen ihn wenden, wenn er jetzt mit Anschuldigungen käme, die er nicht einmal beweisen konnte. Dunker ärgerte sich nun, dass er nicht gleich etwas unternommen hatte. Er überlegte kurz und entschied, sich dem Ansinnen des Militärs besser zu fügen. Welche Wahl hatte er denn auch?
„Ich versichere Euch allen, dass ich nichts mit der Contra zu tun habe. Ich bin hierher gekommen, um meinen Teil zum Aufbau dieses Landes zu leisten. Für eine neue, gerechte Gesellschaft. Ich hatte gehofft, hier vielleicht sogar bleiben zu können und ein neues Leben zu beginnen.“ Er unterdrückte die aufkommenden Tränen, musste aber dennoch einige wegwischen. „Ich kann nicht verstehen, warum ich die Brigade verlassen muss. Ich weiß nicht, warum an mir gezweifelt wird. Es gibt keinen Grund. Glaubt mir bitte!“
Dann verließ Dunker den Tisch, ging traurig auf die Veranda des Brigadenhauses und ließ sich dort in einer Hängematte nieder. Er zog das Päckchen popular superfinos negros hervor und steckte sich eine der starken Zigaretten an. Tief zog er den Rauch ein, so dass ihm schwindlig wurde. Auch er war es nicht mehr gewohnt, ständig zu rauchen, nachdem er sich wie die meisten anderen angewöhnt hatte, nur noch wenige Zigaretten am Tag zu qualmen.
Morgen früh also sollte er verschwinden. Begleitet von einem Milizionär, dem er ganz klar nicht traute. Steckte der vielleicht selbst hinter allem? Wenn es so sein sollte, würde es bedeuten, dass er sich bei seiner Beobachtung nicht getäuscht hatte. Er musste auf der Hut sein. Wie schnell konnte man hier verschwinden und nie wieder auftauchen? Der Milizionär würde
Weitere Kostenlose Bücher