Wille zur Macht
bestimmt bewaffnet sein. Er sicher nicht. Im Dorf konnte auf kein Gewehr verzichtet werden. Er würde auf jeden Fall sein Fahrtenmesser im Gummistiefel verstecken. Für alle Fälle. Obwohl er sich ebenso sicher war, dass er es mit einem ausgebildeten Kämpfer gar nicht aufnehmen konnte.
Steffi und Martin kamen auf die Veranda.
„Wir glauben nichts von diesem Scheiß“, sagte Martin und ließ sich vor Dunker auf dem Boden nieder.
„Aber wir können nichts für dich tun“, ergänzte Steffi und zog hinter ihrem Rücken eine Flasche „Flor de Caña“ hervor. Den ganz dunkeln, den besten, den es zu kaufen gab.
Christian Dunker richtete sich in der Hängematte auf. Er war drauf und dran, den beiden von seiner Beobachtung zu erzählen. Aber dann wurde ihm klar, dass, falls seine Abschiebung damit zu tun haben sollte, er die beiden nur gefährden würde, wenn er sie ins Vertrauen zöge. Sie hatten das genauso wenig verdient wie er.
„Es macht mir wirklich viel aus“, sagte er mit brüchiger Stimme, räusperte sich und fuhr fester fort: „Aber ich werde nicht vergessen, hier gewesen zu sein. Es hat gutgetan. Trotz allem, was jetzt kommt.“ Dann griff er nach der Flasche und trank einen kräftigen Schluck. Heiß und brennend lief der Rum seine Kehle hinab. Er musste scharf zwischen den Zähnen einatmen. Dann reichte er die Flasche den anderen beiden.
Auch andere Brigadisten kamen und versicherten ihn ihrer Solidarität. Es tauchten noch mehr Rumflaschen auf, und Dunker wusste, dass sie ihn ihre Überzeugung spüren lassen wollten, dass er zu ihnen gehöre. Er bot seine gesamten restlichen Zigaretten an. „Bis auf eine“, sagte er, darauf anspielend, dass sie eigentlich ein großer Luxus waren, hier, wo man keine kaufen konnte. Seine letzte steckte er in seine Hemdtasche.
Viel geschlafen hatte Christian Dunker die vergangene Nacht nicht. Zu sehr fühlte er sich durch die Anordnung, die Brigade verlassen zu müssen, verletzt. Es war nicht wirklich eine gute Abschiedsparty gewesen. Alle waren bekümmert über die Entscheidung aus Managua, Dunker nach Hause zu schicken. Den meisten tat er leid.
Er hatte seinen Rucksack gepackt. Im rechten Gummistiefel steckte sein Fahrtenmesser, so dass es nicht gesehen werden, er es aber schnell ziehen konnte. Obwohl er bezweifelte, überhaupt in der Lage zu sein, einen Menschen damit anzugreifen. Er prüfte, ob die Filmdose noch in seiner Hosentasche war. Sie war deutlich zu spüren, als er über den Stoff strich.
Einen Moment harrte er im Brigadenhaus noch aus. Er sah sich ein letztes Mal um, betrachtete seine leere Holzpritsche, den Durchgang zum Gemeinschaftsraum mit der Kochkiste, in der noch mattrot die Glut vom Zubereiten des Frühstücks leuchtete, überzogen von schwarzen Rußschlieren und weißer Asche. Die AKs lehnten ruhig im Waffenregal an der Wand, die Säcke mit Reis, Bohnen und Zucker hingen zum Schutz vor den Ratten unter der Decke. Er seufzte. Dass es so enden würde, hatte er nicht erwartet.
Es war ein sonniger und sehr heißer Tag. Wolken waren kaum am Himmel zu sehen. Draußen vor der Tür warteten einige Brigadisten. Martin und Steffi waren unter ihnen. Die meisten anderen waren schon wieder auf der Baustelle. Wahrscheinlich mochten sie diese Art von Abschied nicht.
Renate stand neben einem grinsenden Milizionär. Christian Dunker musterte ihn eindringlich, aber er konnte in ihm nicht den Mann der besagten Nacht erkennen. Doch sicher ausschließen konnte er es auch nicht.
„Das ist Rafa“, erklärte Renate. „Er wird dich bis zum Haltepunkt des Lkws bringen. Von dort fährst du dann alleine weiter.“
Rafa war ein kleiner, schlanker Mann zwischen dreißig und vierzig mit sehr dunkler Haut. Er hatte schwarze Haare, und vereinzelt wuchsen dunkle Barthaare auf seinen Wangen. Er trug ein verwaschenes, helles Hemd locker über einer khakifarbenen Hose. Seine geschnürten Stiefel waren blitzblank geputzt.
Als er Christian Dunker die Hand reichte, lächelte er, und jeder konnte sehen, dass er fast keine Zähne mehr im Mund hatte. Dunker griff Rafas Hand und drückte sie kurz und kräftig. Dabei nickte er mit dem Kopf, um die Begrüßung zu erwidern.
Seine AK trug Rafa auf dem Rücken, den breiten Lederriemen vor der Brust. Er mahnte zur Eile. Der avisierte Lkw könne nur kurz halten, erklärte er.
Dunker verabschiedete sich von allen Anwesenden. Martin, Steffi und Renate nahmen ihn in den Arm. Martin klopfte ihm freundschaftlich auf den Rücken.
Weitere Kostenlose Bücher