Wille zur Macht
ein Praktikum bei der Mordkommission absolvieren wollte. Mechthild wusste gleich nachdem sie sie ausgesprochen hatte, wie blöd eine solche Frage war und ärgerte sich, sie überhaupt gestellt zu haben.
Es kamen die üblichen, stereotypen Antworten: ein sicherer Job, etwas für die Gesellschaft tun zu wollen, mit Menschen arbeiten, helfen wollen und so weiter.
Was sollte man auch andere Antworten als diese von einem Berufsanfänger erwarten, dachte Mechthild. Sie hatte damals nichts anderes auf diese Fragen geantwortet, als sie ihre Ausbildung begann.
Harald Strehlow hatte gerade zwei Semester hinter sich, sich erste Grundkenntnisse von Strafrecht, Einsatzlehre und Polizeirecht angeeignet und ein paar Schichten bei der Schutzpolizei gemacht. Die beiden einzigen Dinge, die er schon abgeschlossen hatte, waren die Schießausbildung, die ihn berechtigte, eine Waffe zu führen, und eine Fahrerschulung, damit man ihm Streifenwagen anvertrauen konnte. Er war noch kein Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft, was bedeutete, dass er weder Durchsuchungen noch Festnahmen anordnen konnte. Aber das war kein Problem. Mechthild hatte nicht vor, ihn alleine arbeiten zu lassen. Sie erläuterte ihrem Praktikanten nun die Aufgabenbereiche der Mordkommission, die sich nicht nur mit Mord und Totschlag, Körperverletzungen mit Todesfolge und ähnlichen Delikten zu befassen hatte, sondern auch mit Vermisstenfällen. Sie berichtete ihm von dem letzten großen Fall, als sie einen Serienmörder dingfest machen mussten. Ein Fall, der ja auch lang und breit durch die Presse gegangen und Harald Strehlow nicht verborgen geblieben war.
„Zurzeit ist bei uns eine ruhige Phase. Aber Sie sind ja drei Monate bei uns. Da kann schon noch einiges passieren“, fuhr Mechthild fort und erläuterte Harald Strehlow, dass er auch im Erkennungsdienst mitarbeiten werde. „Schließlich sind die Leute vom ED unsere wichtigsten Verbündeten bei der Jagd nach einem Täter.“
Harald Strehlow nickte stumm. Insgeheim hoffte er, dass während seines Praktikums doch noch ein spektakulärer Mord in Bremen geschehen würde. Obwohl ihm jetzt schon davor graute, bei einer Leichenöffnung in der Pathologie dabei sein zu müssen. Und damit war Mechthild auch schon beim Thema.
„Ich zeige Ihnen natürlich auch die Pathologie und mache sie mit unserem Gerichtsmediziner, Herrn von Sülzen, bekannt. Er ist für unsere Arbeit ein weiterer wichtiger Zeuge und von unschätzbarem Wert. Wissen Sie was? Wir fahren da mal hin und schauen uns alles an. Dann haben Sie schon mal einen ersten Eindruck.“ Mechthild wollte irgendwie die Zeit rumbringen.
Harald Strehlow schluckte kurz. Und obwohl es in dem Büro nicht sonderlich warm war, traten ihm kleine Schweißperlen auf die Stirn. Das entging auch Mechthild nicht.
„Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. So schrecklich ist es dort nicht. Wir machen ja nicht gleich eine Obduktion! Sie müssen das so sehen, als wenn Sie einen Patienten im Krankenhaus besuchen wollten. Sie sprechen mit dem Arzt, sind bei den Untersuchungen dabei. Nur, dass unser Patient schon tot ist.“
Dann stand sie auf, zog sich ihren Mantel an und ging mit Harald Strehlow zu ihrem Dienstmercedes im Innenhof des Polizeihauses. Das Wetter hatte sich geändert. Während am frühen Morgen noch die Sonne geschienen hatte, waren jetzt vermehrt dicke, graue Wolken am Himmel aufgezogen. Wetter, wie es kurz vor dem Sommer in Bremen immer war.
Für einen Moment dachte Mechthild daran, Strehlow fahren zu lassen, aber dann setzte sie sich doch lieber selbst hinters Lenkrad. Sie war sich nicht sicher, ob ihr Praktikant sich gut auf den Verkehr konzentrieren konnte, bei allem, was jetzt wahrscheinlich durch seinen Kopf ging im Hinblick auf den bevorstehenden Besuch in der Path. Aber sie kannte auch nur ein beschränktes Erbarmen für angehende Polizisten. Wenn sich jemand dafür entschieden hatte, Polizist zu werden, musste er einiges ertragen können, was den meisten anderen Menschen in der Regel erspart blieb. Ein Polizist sah nun mal hauptsächlich Leid und Elend der Gesellschaft und musste sich selbst einen Plan entwickeln, wie er damit umging, damit es ihn nicht zerfraß. Und man konnte nie früh genug damit beginnen.
Mechthild Kayser schaltete das Funkgerät ein, nannte Strehlow ihren Funknamen und forderte ihn auf, sich bei der Einsatzleitzentrale zu melden und ihr Fahrtziel anzugeben. Etwas umständlich nahm sich Strehlow das Funkgerät, und mit belegter
Weitere Kostenlose Bücher