Wille zur Macht
ich ja beinahe die Leiterin der Mordkommission umgerannt!“ gab Behrmann für alle laut hörbar bekannt, in der Hoffnung, irgendwelchen anderen Interpretationen zuvorkommen zu können. Dann führte er sie in sein Büro, schloss sorgfältig die Tür und nahm sie noch einmal in den Arm. Er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und küsste sie vorsichtig.
Mechthild erwiderte seine Zärtlichkeiten, aber dann machte sie sich plötzlich von ihm frei. Sie wollte sich selbst bremsen, denn in ihr begann es zu brodeln.
„Eigentlich bin ich ja aus einem ganz anderen Grund zu dir gekommen“, log sie. „Aber ein solcher Empfang ist auch schön!“
Behrmann ließ sich auf der Kante seines Schreibtisches nieder. „Was hast du denn auf dem Herzen? Gibt’s einen neuen Fall?“
„Nein“, erwiderte Mechthild schmunzelnd. Und nun musste sie einen Moment nachdenken, denn ihre Ausrede hatte sie fast vergessen. „Ich bekomme heute einen Praktikanten von der Hochschule. Aber bei mir ist zurzeit so wenig los, dass ich dich bitten möchte, ihm etwas von deiner Arbeit zu zeigen. Kannst du das machen?“
Behrmann lachte. „Willst du ihn loswerden, oder meinst du es ehrlich?“
Mechthild tat erst ein wenig beleidigt, versicherte ihm dann aber, dass es ihr nicht darum ginge. Nur ohne einen Mord konnte es in der Mordkommission ganz schön langweilig zugehen, erklärte sie.
Fritz Behrmann sagte ihr zu, sich um den Praktikanten zu kümmern. Und nutzte gleich die Gelegenheit und fragte Mechthild, ob sie nicht Lust hätte, am Abend mit ihm auszugehen. Ein Strahlen huschte fast unmerklich über Mechthilds Gesicht.
„Aber bitte erst später und dann nur auf einen Wein. Was hältst Du von neun Uhr in der kleinen Vinothek am Steintor?“
Behrmann war begeistert. Mechthild drückte ihm noch schnell einen Kuss auf die Wange und verließ dann sein Büro.
Die Frühschicht auf dem Polizeirevier in der Neustadt hatte gerade den Dienst an die eingetroffenen Kollegen des Spätdienstes übergeben, als Erna Ratzenow wieder im Wachraum erschien und dem Wachhabenden ihr Anliegen vermitteln wollte.
„Der junge Mann, der unter mir wohnt, geht immer für mich einkaufen. Aber heute ist er nicht gekommen. Können Sie nicht mal nach ihm sehen“, erklärte sie kurz. Sie hatte keine Lust, wieder alles vollständig und von vorne an zu erzählen.
Ralf Strutz war ein erfahrener Hauptkommissar und Dienstgruppenleiter. Er wusste, dass Hinweise dieser Art nicht gleich eines Polizeieinsatzes bedurften.
„Haben Sie denn mal bei ihm geklingelt?“
Frau Ratzenow sah ihn etwas entgeistert an, da sie den Eindruck bekam, dass der vor ihr sitzende Polizist sie nicht ganz ernst nahm. Sie erklärte ihm, dass sie das natürlich schon mehrfach versucht hatte. Aber ohne Erfolg. Und sie wies darauf hin, dass dieser junge Mann ihr bislang jedes Mal Bescheid gegeben hatte, wenn er verhindert war und sich nicht um sie kümmern konnte. Ausnahmslos.
Ralf Strutz wiegte sein Haupt unentschlossen hin und her. Sicher hätte er einen Streifenwagen vorbeischicken können. Aber hier in der Neustadt war so viel zu tun, dass er die wenige Zeit seiner Kollegen nicht vergeuden durfte. Die personelle Ausstattung der Polizei war einfach schmaler geworden. Er machte Frau Ratzenow den Vorschlag, dass sie sich am kommenden Vormittag wieder auf dem Revier melden sollte, wenn der Mann bis dahin nicht wieder aufgetaucht wäre. Er würde einem Kontaktbeamten eine Mitteilung zukommen lassen, so dass dieser sich dann um den Fall kümmern und sie besuchen würde.
Ralf Strutz übergab ihr eine Visitenkarte seines Kollegen, auf der sein Name und die telephonische Durchwahl angegeben waren.
Das beruhigte Frau Ratzenow. Mit der Visitenkarte in der Hand verließ sie die Wache.
Als Mechthild Kayser in ihr Büro zurückkehrte, wartete auf einem der Besucherstühle ein junger Mann Anfang zwanzig in einem grauen Anzug und strahlte sie mit extrem weißen Zähnen an. Seine braunen Haare trug er halblang und hatte sie auf der einen Seite gescheitelt. Unter seinem Jackett schaute ein weißes T-Shirt hervor. Er erhob sich, reichte ihr die Hand und stellte sich mit Harald Strehlow vor. Er war der angekündigte Student aus dem Fachbereich Polizei der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Bremen.
Mechthild begrüßte ihn und hieß ihn herzlich willkommen. Sie war neugierig, mit wem sie es zu tun hatte, und so fragte sie ihn nach seinen Beweggründen zur Polizei zu gehen, und warum er unbedingt
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