Wille zur Macht
Schweinebratens.
Von Sülzen erhob seine Stimme. „Sehen Sie hier!“ Er wies mit dem Zeigefinger auf die rechtwinklig angezogenen und in dieser Stellung verharrten Arme der Leiche. „Ein klassischer Hinweis auf eine länger anhaltende große Hitze, der der Körper ausgesetzt war. Durch die Erhitzung verdunstet sehr viel Flüssigkeit im Körper, und die Sehnen ziehen sich zusammen.“
Dann stockte von Sülzen der Atem.
„Was ist das für eine Schweinerei!“ schrie er wütend los. Im Halbdunkel der dem Licht abgewandten Seite der Leiche entdeckte er in der Hand des Toten eine geschälte und abgebissene Banane. Das leuchtende Gelb der Bananenschale hob sich deutlich und eigentlich sehr ästhetisch vom dunklen Braun der verbrannten Hand ab. Harald Strehlow war schockiert. Was waren denn das für Mätzchen in der Pathologie?
Von Sülzen biss grimmig die Zähne zusammen, versuchte seine Wut herunterzuschlucken und sich zu beruhigen. Er bugsierte Harald Strehlow aus der Kühlkammer, drückte mit hoher innerer Anspannung die Tür wieder zu und mit einem heftigen Ruck den Klinkenhebel wieder herunter.
Mechthild Kayser war nicht mit in die enge Kühlkammer gegangen und wusste deshalb nicht, was den Ausbruch ihres so geschätzten Gerichtsmediziners ausgelöst hatte.
„Was war denn, Herr Professor?“
Von Sülzens Blick wanderte von Mechthild zu Harald Strehlow und wieder zu ihr zurück. Dann hatte er seine Fassung wieder.
„Manche Menschen haben einen Humor, den ich nicht teile“, begann er ruhig und besonnen. Ohne jedoch den eigentlichen Grund seines Wutausbruchs preiszugeben. „Aber ...“ Er machte eine kleine Pause und wandte sich wieder an Harald Strehlow. „Aber es ist für manche auch nicht so leicht, mit der Arbeit hier umzugehen. Besonders für Nichtmediziner. Einige müssen sich durch solch kleine Neckereien von der Last des Umgangs mit nicht immer schön aussehenden Toten befreien. Ich habe in begrenztem Umfang Verständnis dafür.“
Damit war dieses Thema für ihn erledigt. Mechthild wusste noch immer nicht, worum es ging, wollte aber auch nicht nachfragen. Und Harald Strehlow war froh, dass die Kühlkammer wieder geschlossen war. Er hatte noch nie in seinem Leben eine echte Brandleiche gesehen. Er spürte schon jetzt, dass er diesen Anblick nicht so schnell vergessen würde.
Von Sülzen ergriff wieder die Initiative. „Nun, Herr Strehlow. Wir haben natürlich auch so etwas wie eine Alltagsroutine zu erledigen.“ Von Sülzen kehrte zu seiner kühlen Sachlichkeit zurück. „Wie Sie sicher wissen, muss bei tödlichen Verkehrsunfällen immer auch geklärt werden, ob Unfallopfer unter dem Einfluss von Drogen oder Alkohol standen. Das ist besonders für die Versicherungen von entscheidender Bedeutung, gilt es doch Versicherungsleistungen zu gewähren oder abzulehnen. Kommen Sie!“
Mit diesen Worten zog von Sülzen Harald Strehlow in den Nebenraum. Mechthild Kayser hielt sich dicht hinter ihrem Praktikanten. Er schien sehr irritiert zu sein. Sie wollte nicht, dass er schon heute seine Grenzen kennenlernte. Noch war er in der Ausbildung und musste mit großer Verantwortung an seinen Beruf herangeführt werden. Sein bevorstehendes Polizistenleben würde ihn schon von ganz allein so mancher Illusion berauben. Aber das war eine Entwicklung und kein Crashkurs.
In der Mitte des hell erleuchteten Raumes mit einer Wand aus Glasbausteinen lag auf einem Rollwagen ein toter Mann. Er musste mindestens siebzig gewesen sein, schätzte Harald Strehlow. Vielleicht noch älter. Er war nackt, und sein Körper wies mehrere Hautabschürfungen und Hämatome auf. Am Kopf war eine größere Platzwunde zu erkennen, um die herum eingetrocknetes und verkrustetes Blut klebte.
Neben seinen gespreizten Beinen stand ein Pathologiehelfer. Ein etwas grobschlächtig wirkender Mann über fünfzig. Auch in ärztliches Weiß gekleidet und mit einer Gummischürze gewappnet.
Von Sülzen erklärte weiter die Situation. „Dieser Mann ist vor eine Straßenbahn gelaufen und dabei ums Leben gekommen. Schädelfraktur mit Todesfolge.“ Er wies auf die Kopfverletzung. „Es gilt zu klären“, dabei nickte er dem Pathologiehelfer zu, „ob der Gute unter Einfluss von berauschenden Mitteln die Fahrbahn überqueren wollte, obwohl eine Straßenbahn herannahte. Zu dieser Bestimmung benötigen wir Blut. Grundsätzlich trocknet unser roter Saft in den kleinen Adern nach dem Exitus sehr schnell ein. Darum öffnen wir die Oberschenkelvene, die
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