Wille zur Macht
Stimme gab er unsicher seinen Funkspruch ab.
Mechthild lenkte den Wagen durch die Ostertorswallstraße auf den Wall und dann an der Vorderseite des Polizeihauses vorbei auf den Ostertorsteinweg, passierte die Sielwallkreuzung, und am Ende der Straße Vor dem Steintor bog sie ab in eine Allee, die Am Schwarzen Meer genannt war. Alleen schienen bei Wahlkampfmanagern besonders für Werbung beliebt zu sein. Während Mechthild während der ganzen Fahrt nirgendwo etwas aufgefallen war, hingen hier an allen Bäumen massenweise Plakate der in der Bremer Bürgerschaft vertretenen Parteien. Und derer, die neu hineingewählt werden wollten. Bremen war im Wahlkampf. Die letzten vier Jahre wurde das kleine Bundesland von einer großen Koalition aus Konservativen und demokratischen Sozialisten regiert. Ein Novum in der sonst jahrzehntelang immer links und fortschrittlich orientierten Stadt. Aber die strukturell bedingten wirtschaftlichen Probleme Bremens ließen das Land in den vergangenen Jahren zunehmend in die Pleite schliddern, so dass manche Wähler glaubten, dass ein Ruck nach rechts die Stadt wieder nach vorne bringen könnte. In den vergangenen vier Jahren hatte sich allerdings noch nicht viel bewegt.
Nach ein paar hundert Metern erreichten sie die Einfahrt zur Pathologie, und Mechthild stellte den Wagen auf dem Parkplatz, der eigens für die Mordkommission reserviert war, ab.
Harald Strehlow hatte die ganze Fahrt über kein Wörtchen mehr gesagt. Er war aufgeregt, und ihm war unwohl. Er kannte Pathologien nur aus den Fernsehkrimis, und er ahnte schon immer, dass die Wirklichkeit erschreckender sein musste. Aber jetzt schlapp machen konnte er natürlich auch nicht. Wie würde er denn dastehen? Also folgte er brav, aber nervös, seiner Chefin auf Zeit durch die Tür ins Innere der Pathologie. Sofort nach dem Eintreten schlug ihm ein merkwürdiger, unbekannter Geruch entgegen. Süßlich-muffig mit einem Zusatz von Chemikalie. Eben eine Mischung aus Leichengeruch und Formaldehyd.
Mechthild hielt dem jungen Praktikanten eine Tür auf, und schon standen sie in einer kleinen Halle, von der an der rechten Wand drei Kühlzellen abgingen. Die dicken Türen mit ihrem großen, blanken Hebeln waren stark abgenutzt. Durch kleine, runde, schon etwas matt gewordene Fensterchen konnte man in die Kühlkammern schauen. Aber Harald Strehlow war im Augenblick nicht gerade neugierig.
Am gegenüberliegenden Ende der Halle stand eine Tür offen, und nachdem Mechthild ein lautes „Hallo“ von sich gegeben hatte, erschien ein hagerer Mann Ende vierzig, glattrasiert und mit einer schwarzen Hornbrille auf der Nase, in weißem Ärztekittel mit einer ebenfalls weißen Gummischürze.
„Ah, Frau Kayser. Ich begrüße Sie in meinen zwar zunehmend derangierter wirkenden, aber immer noch heiligen Hallen.“
Prof. Dr. von Sülzen, der leitende Gerichtsmediziner in Bremen, reichte der Chefin der Mordkommission seine gummibehandschuhte Hand und nach einem prüfenden Blick von ihr, ob diese noch frei von Anhaftungen jeglicher Art war, ergriff sie sie zur Begrüßung. Dann stellte sie ihren Polizeischüler vor.
„Ja, da hab ich doch zwei kleine, nette Dinge, die einem jungen Polizeistudenten einen Einblick in meine Arbeit geben können.“ Von Sülzen schob Harald Strehlow zu einer der Kühlkammern. Mechthild hielt ihn im Vorübergehen am Ärmel seines Arztkittels fest und warf ihm einen strengen Blick zu. Von Sülzen verstand sofort. „Natürlich etwas, das das unerfahrene Gemüt eines Polizeischülers nicht über die Maßen erschüttern kann“, ergänzte er, zog Harald Strehlow zu einer anderen Kühlkammer und drückte den großen Hebel nach unten. Er zog die schwere Tür auf und schob den Polizeischüler in die Kammer hinein. Trotz der Kühlung hing ein merkwürdiger Gestank in der Luft. Irgendetwas zwischen Lagerfeuer und kaltem Sonntagsbraten.
„Hier sehen Sie eine Brandleiche aus dem angrenzenden Niedersachsen, die mir zur Begutachtung aufgrund von Personalengpässen bei den niedersächsischen Kollegen überstellt worden ist.“ Von Sülzen trat neben Harald Strehlow und schaltete das Licht ein. Es war ziemlich schwach. Glück für den Praktikanten. Dann fuhr der Gerichtsmediziner mit seinen Erklärungen fort.
Vor Harald Strehlow lag ein braun bis schwarz verkohlter Leichnam. Das Geschlecht konnte er nicht erkennen. Das Gesicht war verschwunden. An den Oberschenkeln erinnerten ihn die Verbrennungen an die krosse Schwarte eines gelungenen
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