Wille zur Macht
überlegt, wie er eine Blöße vermeiden konnte.
„Darüber rede ich nicht so gern mit Leuten, die ich nicht kenne.“
Alle lachten, und einer schlug Heller freundschaftlich auf den Rücken. „So gefällst du uns!“ grölte er. „Bloß nicht zuviel erzählen. Aber den Arno aus Halle, den musst du doch kennen. Den kennt doch jeder!“
Heller kippte den nächsten Schnaps hinunter, um Zeit zum Überlegen zu gewinnen. Er war schon sehr betrunken, und langsam begann es sich um ihn herum zu drehen.
„Kann sein“, antwortete er zurückhaltend und lallend. „Vielleicht haben wir zusammen mal ein paar Rote verhauen.“ Und dann musste er selbst lachen.
„Ja, ja, die Zecken!“ kam es vom anderen Ende des Tisches. „Glücklicherweise hat ja schon wieder eine dran glauben müssen.“
„Darauf trinken wir!“ schrie Heller und sprang auf, um seinen Toast zu unterstreichen. Aber er war viel zu betrunken, um sich auf den Beinen zu halten. Er torkelte nach hinten, stolperte über seinen umgekippten Stuhl und schlug lang hin. Der Mann mit der Bataillon-18-Tätowierung erhob sich und beugte sich über Heller.
„Kamerad, du hast für heute genug.“ Ohne große Kraftanstrengung hob er Heiner Heller auf und stellte ihn wieder auf die Beine. Dann beauftragte er zwei andere, ihn zum nahegelegenen Taxenstand zu bringen. „Ihr seid mir dafür verantwortlich, dass unser Kamerad heil nach Hause kommt. Verstanden?“ Wie von fern hörte Heller ein mehrstimmiges „Jawohl“. Er konnte seinen Kopf nicht mehr oben halten. So viel Bier und Korn. Das war nichts für ihn.
Auf beiden Seiten wurde er unter die Arme gegriffen, und zwei starke Männer bugsierten ihn aus der Kneipe. In einem Durchgang zum Herdentorsteinweg wurde er plötzlich an eine Hauswand geschubst. Eine Sekunde später traf ihn ein Faustschlag in die Magengrube, und fast bewusstlos rutschte er wie ein nasser Sack an der Hauswand herunter auf den Boden. Er spürte nicht mehr, wie ihm ein brillenartiges Gestell aus Eisen auf die Nase geschoben wurde. Aber als ein Vorschlaghammer mit Wucht auf das Gestell traf, tanzten vor seinen Augen unzählige Sterne und bunte Punkte herum. Blut lief ihm aus der gebrochenen Nase, und Heller musste sich übergeben.
Er hörte nicht mehr, wie einer der beiden im Weggehen lachte, während der andere sagte: „So, nun hat der Kleine auch mal einen Blick durch die braune Brille werfen dürfen!“
Wie viel Zeit verstrichen war, bis Heller sich aufraffen konnte und auf allen Vieren bis zum Herdentorsteinweg kroch, konnte er nicht sagen. Ein vorbeikommender Autofahrer rief die Polizei, und wenig später wurde er von einem Krankenwagen ins nahegelegene Krankenhaus in der St.-Jürgen-Straße gebracht. Trotz seiner Gesichtsverletzungen wurde Heller erst einmal einer Magenspülung unterzogen. Dann wurden seine Verletzungen versorgt. Die gebrochene Nase war nicht schwer zu richten. Aber um seine Augen hatten sich riesige, kreisförmige Hämatome gebildet. Mit Eisbeuteln versuchten die Ärzte ein Zuschwellen der Augen zu verhindern. Es gelang ihnen. Die Röntgenbilder zeigten, dass die Jochbeine Hellers nicht gebrochen waren. Die größte Wucht des Schlages wurde durch das Nasenbein absorbiert. Ein schwacher Trost für Heller, der jetzt mit Schwindelgefühlen und Kotzanfällen in einem Dreibettzimmer auf den nächsten Tag und vor allem auf Besserung wartete.
Als Mechthild Kayser am kommenden Morgen sehr früh in ihr Büro kam, machte sie sich sofort daran, eingegangene E-Mails zu studieren. Immer in der Hoffnung, dass entscheidende Hinweise eingegangen sein könnten. Erschrocken las sie die Nachricht des Kriminaldauerdienstes, der Heller noch in der Nacht im Krankenhaus aufgesucht hatte. Mit Unterstützung mehrerer Streifenwagenbesatzungen wurde die Kneipe der Neonazis überprüft. Aber da Heller aufgrund seines betrunkenen Zustandes keine konkreten Angaben über die beiden Schläger machen konnte, verlief diese Aktion im Sande. Lediglich die Personalien von den Anwesenden konnten festgehalten werden. Einige Namen kamen Mechthild Kayser bekannt vor. Sie waren auch in Roders Unterlagen enthalten.
Mechthild machte sich sofort auf den Weg ins Krankenhaus. Unterwegs schickte sie Ayse eine SMS und informierte sie kurz über den Vorfall mit Heller.
Als sie sein Krankenzimmer betrat, lag dieser mit geschlossenen Augen auf dem Bett. Er trug noch immer seine schwarze Bomberjacke, die Springerstiefel standen unter einem Stuhl. Heller sah
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