Wille zur Macht
treffen.
Heiner Heller schnürte die blankgeputzten Springerstiefel zu, schob die schwarze Jeans über die Schäfte und zog sich eine schwarze Bomberjacke über. Pistole und Dienstausweis hatte er schon in dem kleinen Möbeltresor im Schrank verstaut. Er wollte nichts Verräterisches bei sich haben. Er versuchte seine blonden Haare streng zu scheiteln, was aber nur zum Teil gelang. Er betrachtete sich im Spiegel auf dem Flur. So musste es gehen: blonder Typ in schwarzen Klamotten. Er verließ seine Wohnung in Schwachhausen und fuhr mit dem Bus bis zum Bremer Hauptbahnhof. Die große Uhr an dessen Front stand auf kurz nach zehn. Strammen Schrittes marschierte er unter der Hochstraße hindurch, und wenige Minuten später stand er vor der besagten Kneipe. Neben dem Eingang stand ein massiger Kerl, der unter einem extrem großen, schwarzen T-Shirt eine riesige Wampe vor sich hertrug. Unbehelligt konnte Heller die Kneipe betreten. Aus den Boxen an der Wand donnerte deutsche Rockmusik. Die Texte waren zum Teil herausgebrüllt, so dass Heller kaum ein Wort verstand. Ein gutes Dutzend dunkelgekleideter Männer waren anwesend. Die meisten von ihnen trugen ihre Haare kurzgeschoren. Heller setzte sich an die Theke und bestellte ein Bier. Der Mann hinter dem Tresen bot auf den ersten Blick einen echten Kontrast zu seinen Gästen. Er hatte lange, schwarze Haare, und seine nackten Arme waren über und über mit Tätowierungen verziert. Um den Hals trug er an einer Kette das Eiserne Kreuz. Und auf seinem schwarzen T-Shirt stand in dicken weißen Lettern „Pit Bull – White Power“. So groß unterschied er sich von seinen Gästen also doch nicht. In einem Spiegel hinter dem Thekenbüfett konnte Heller erkennen, dass eine Gruppe von fünf Männern weiter hinten im Raum beisammensaß. Einen von ihnen erkannte er wieder. Er war mit Photo in Roders Akte vermerkt. Worüber sie sprachen, konnte er allerdings nicht hören. Der Mann, der die ganze Zeit vor der Kneipe gestanden hatte, kam jetzt herein und setzte sich neben Heller an den Tresen. Er musste seinen Hocker ein ganzes Stück zurückziehen, um mit seinem dicken Bauch Platz zu finden.
„Na, brauchste auch ein gepflegtes Feierabendbierchen?“ begann er eine Unterhaltung.
„Kann man wohl sagen“, entgegnete Heller und prostete seinem Thekennachbarn zu.
„Du bist wohl nicht von hier, oder?“
In Windeseile ging Heller noch einmal die Geschichte durch, die er sich zurechtgelegt hatte.
„Ja und Nein. Ich komme zwar von hier, aber war lange in Halle am Arbeiten.“
„Und was machste jetzt hier?“ bohrte der andere weiter. Heller erzählte ihm davon, dass der Betrieb, in dem er gearbeitet hatte, pleite gemacht hat. Erst wären immer mehr Ausländer gekommen, die die Löhne drückten, und dann war irgendwann Feierabend, log er.
„Ja, die Scheißausländer!“ grunzte der Dicke und spendierte Heller einen Korn. Auch Heller wollte sich nicht lumpen lassen und orderte ebenfalls einen Schnaps für die beiden. Es folgten noch einige Runden, aber als Heller noch einmal bestellte, winkte der Dicke ab. „Lass mal gut sein. Brauchst dein Geld doch auch. Komm, ich stell dir ein paar Kumpels vor.“
Mit diesen Worten zog er Heller von seinem Barhocker und schob ihn durch den Gastraum bis zu dem Tisch in der hinteren Ecke. Dort drückte er ihn auf einen Stuhl zwischen zwei andere Kahlrasierte. Die Gespräche am Tisch verstummten.
„Ich bin der Heiner“, stellte sich Heller selbstbewusst vor, und der Dicke ergänzte, dass er ganz okay sei. Wortführer am Tisch war ein muskulöser Typ um die dreißig. Auf der Unterseite seines rechten Armes war in altdeutschen Buchstaben das Wort Bataillon 18 tätowiert. Heller überlegte: Bataillon 18; die 18 stand für den ersten und den achten Buchstaben des Alphabets. A und H, Adolf Hitler. Er war hier also genau richtig.
Heller wurde in die Gespräche verwickelt. Sein Zechkumpan von der Theke erklärte, dass die Ölaugen Heller seinen Job weggenommen hatten. Heller schimpfte in diesem Stil mit. Seit geraumer Zeit standen mehrere Schnapsflaschen auf dem Tisch, aus denen eifrig eingeschenkt wurde. Auch für Heller, der sich nicht ausschließen wollte, um keinen Verdacht zu erregen. Saufen und Neonazis, das gehörte wahrscheinlich zusammen. Irgendwann fragte ihn einer, ob er denn Kameraden aus Halle kennen würde. Trotz seiner einsetzenden Trunkenheit war Heller vorbereitet. Er wusste, dass diese Frage kommen würde. Und er hatte sich genau
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