Willenlos
geklingelt.«
Joshua trat an den Tisch, sprach leiser weiter.
»Ich bin privat hier, darf also Ihr Grundstück nicht ohne Ihre Erlaubnis betreten. Sie können mich anzeigen, Herr Gerster.«
Gersters Anspannung wich. Sein Blick wurde nachdenklich, die Haut wies eine leichte Blässe auf. Ringe unter den Augen deuteten auf eine schlaflose Nacht. Er nahm einen tiefen Schluck, um Zeit zu gewinnen oder auch Mut.
»Dürfen Sie mich verhören, ich meine, privat?«
»Deshalb bin ich nicht hier, wie gesagt handelt es sich um eine private Angelegenheit.«
Gerster bot ihm den Stuhl neben sich an. Das anfängliche Misstrauen wich Neugierde.
»Mögen Sie auch ein Glas Wein?«
»Wenn Sie ein Bier hätten …«
Nach einer Minute kam Gerster mit einem Glas und einer Flasche in der Hand zurück.
»Also?«, fragte er, während er einschüttete.
»Ich möchte etwas klarstellen, mehr nicht. Was Sie damit anfangen, ist Ihre Sache. Ich habe gestern Abend einen Anruf erhalten. Darin wurde mir mitgeteilt, dass Sie in der Vergangenheit einen heftigen Streit mit Klaus Dahlmann gehabt hatten.«
Ulf Gerster verzog den Mund.
»Aus diesem Grund habe ich Sie besucht. Ich hätte es schon viel eher wissen müssen, aber Karin hatte Ihren Namen weder in einem Bericht noch mir gegenüber erwähnt. Sie hat lediglich angegeben, mit Ihnen befreundet zu sein. Karin wollte Sie raushalten, was ein schweres Dienstvergehen ist. Sie hatte gestern nichts von meinem Besuch gewusst und weiß es auch jetzt nicht. Prost.«
Joshua hob das Glas und hielt es dem sichtlich irritierten Gerster entgegen. Langsam hob dieser das Glas, deutete kurzes Zuprosten an und trank. Nachdenklich strich sein Blick ins Leere.
»Warum hat sie so wenig Vertrauen?«
Die Augen Gersters wurden glasig. Joshua kam es vor, als versteckten sich beide hinter ihren Schatten.
»Vertrauen in Außenstehende verlieren Polizisten schon in der Ausbildung. Sie müssen ihr Zeit geben.«
»Ist nicht leicht, wenn die Frau, die man liebt, bei einem einbricht und nach Beweisen sucht.«
Gerster füllte sein Glas erneut, seine Stimme verlor allmählich an Sicherheit.
»Ich werde Udo besuchen, er muss mir glauben.«
»Was soll er Ihnen glauben?«
Joshua wurde aufmerksamer.
»Manuela hatte mich vorige Woche besucht. Manuela Hornbach. Udo wollte wissen, wo ich mit seinem Auto gewesen bin. Ich glaube, er verdächtigt mich.«
Gerster erzählte ihm von dem geliehenen Auto, dem Zweitschlüssel, den er erst Tage später zurückgegeben hatte. Er berichtete ihm von dem Verhältnis seiner Frau zu Klaus Dahlmann, das wenige Tage vor der Tat noch bestanden hatte. Karin musste von all dem gewusst haben, er konnte sich nicht vorstellen, dass seine Kollegin nur aufgrund einer Namensgleichheit in die Wohnung ihres Freundes einbrechen würde. Sollte es sich um einen Serientäter handeln, wovon Joshua immer mehr überzeugt war, dürfte Eifersucht nicht das Motiv sein. Joshua leerte das Glas und verabschiedete sich. Gerster führte ihn durch die Wohnung zur Haustür, er wankte sanft hin und her. Draußen drehte Joshua sich noch einmal herum.
»Nach allem, was Sie mir erzählt haben, wäre Karin eine sehr schlechte Polizistin, wenn sie der Sache nicht nachgegangen wäre. Sie ist eine gute Polizistin.«
25
Florenz List saß in dem mit rotem Leder bezogenen englischen Clubsessel und starrte in den Kamin. Erst durch Annabelles Vorwurf, er wäre nicht wie verabredet zum Abendessen zurück gewesen, war es ihm bewusst geworden. Der laute Schlag der Standuhr riss den Richter aus der Suche nach einer Erklärung. 21 Uhr, das Licht der Kerzen spiegelte sich im goldenen Zifferblatt. Ruhig, mit gleichmäßigem Schwung schlug das mächtige Pendel aus. Er liebte den hellen Klang, mit dem im Viervierteltakt die Westminstermelodie erklang. Das Geschenk der Anwaltskammer zum 25-jährigen Richterjubiläum hatte Annabelle ausgesucht. Er dachte wieder an das kleine Lokal in Kaiserswerth. Er erinnerte sich an die Verwunderung, die der Anrufer bei ihm ausgelöst hatte. Ausgerechnet dort hatte er sich mit ihm treffen wollen. In seinem Lieblingsrestaurant. Florenz List war sicher, ihn noch niemals dort gesehen zu haben. Überhaupt hatte er zunächst das Gefühl, diesem Mann noch nie zuvor begegnet zu sein. Und dennoch verspürte er eine seltsame Vertrautheit. Es war die klare, eindringliche Tenorstimme, die den Richter nachdenklich werden ließ. Dieses angenehm samtig weiche Timbre war ihm beim Telefonat
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