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Willenlos

Willenlos

Titel: Willenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erwin Kohl
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aber irgendwann bestimmt. Sie sollten darüber nachdenken, warum ich jemandem so sehr im Weg stehe, dass er alles versucht, mich zu beseitigen.«
    Für Karin war der Augenblick erreicht, aufzugeben. Sie wünschte Bartram für die Zukunft Besonnenheit und sich selbst, ihm nie wieder zu begegnen.
    Auf dem Weg ins Büro dachte Karin noch einmal über Bartrams letzten Satz nach. Die Frage, aus welchem Grund es der ominösen Person wichtig war, Leon Bartramzu beseitigen, schien ihr banal. Bartram war der einzige Mensch, der von seiner Schuld wusste. Nicht nur das, er wusste auch, dass Bartram frei war und Rache üben wollte. Bartram hatte ihn vollkommen in der Hand, bereit, ihn jederzeit zu zerquetschen wie eine Made.
    Karin versuchte, sich die Situation aus Sicht des Unbekannten vorzustellen. Jede Sekunde musste er damit rechnen, seinem Widersacher gegenüberzustehen, jede Sekunde seines Lebens konnte somit die letzte sein. Ein verstecktes Leben, ständig auf der Flucht. Das war es, was Bartram genießerisch werden ließ. Diese Strafe war grausamer als die umsorgte Sicherheit eines Staatsgefängnisses. Es war die Triebfeder für drei Morde. Bartram sollte für immer weggesperrt werden. Der Schein deutete Karin an, nicht weitergekommen zu sein. Aber der Schein trog. Bartram hatte einen Stein ins Wasser geworfen, der Kreise zog. Es muss einen Grund geben, dachte die Ermittlerin, weshalb der Täter Bartram nicht direkt umbringen konnte.
    Hinweise auf eine fremde Person am Tatort hatte es damals nicht gegeben. Bartram hatte seine Frau nach eigenem Bekunden bereits tot aufgefunden. Er wurde noch am Tatort in Gewahrsam genommen, hatte das Gefängnis erst 14 Jahre später verlassen. Bartram dürfte also nichts gegen den mutmaßlichen Täter in der Hand haben. Der Grund dafür, weshalb Bartram diese Taten angelastet werden sollten – ja, weshalb er überhaupt noch lebte - musste woanders liegen.
     
     

43
    Außer sich vor Wut schmiss er die Tür ins Schloss. Der laute Knall rollte wie eine Welle durch den Kopf. Schmerzverzerrt verzog er das Gesicht. Er ging in die Küche und warf ein Aspirin in ein Glas Wasser. Kleine Perlenketten wanderten der Oberfläche entgegen. Auf dem Küchentisch standen die Überreste der voreiligen Siegesfeier. Leere Bier- und Weinflaschen, aneinandergereiht, als wollten sie ihm salutieren. Die kleine Feier galt der neugewonnenen Freiheit, dem Ende des Albtraums. Der vorletzte Stein war beiseite geräumt, der letzte würde in wenigen Monaten ganz allein aus dem Weg gehen. Hatte er geglaubt. Ein Trugschluss.
    Vor einer Stunde hatte er ihn gesehen, er schloss die Haustür an der Druckerstraße auf, frei wie Gott ihn geschaffen hatte.
    »Sie müssen das Zeug doch gefunden haben«, redete er sich ein. In einem Zug leerte er das Glas. »Diese Stümper«, fluchte er leise. Hätte er noch Hinweisschilder aufstellen sollen?, fragte er sich spöttisch. Oder – hatte er völlig daneben gelegen? Leon selbst hat immer wieder davon gesprochen. Hatte er geblufft?
    Der Gedanke drang wie eine glühende Nadel in seinen Verstand. Es war das beste, das wirkungsvollste Mittel, um einen Menschen zu beeinflussen. Jedes andere Medikament wäre zu riskant, es konnte sich nur um Dormicum handeln. Die Polizei musste einfach darauf kommen, jeder Medizinstudent im zweiten Semester würde das.
    Seine Augen flogen über eine halbvolle Flasche Calvados auf dem Regal zwischen Gewürzen. Er zögerte. Einen für die Nerven, hörte er eine Stimme. Du musst jetzt einen klaren Kopf bewahren, antwortete eine zweite. Vorsichtig nahm er die Flasche vom Regal, hielt sie am ausgestreckten Arm unter das Licht des Deckenstrahlers. Die Augen verengten sich zu Schlitzen, der Blick wurde kalt. Dir habe ich alles zu verdanken, murmelte er.
    Er hatte es für eine gute Idee gehalten, ihn ab und an im Gefängnis zu besuchen. Leon zeigte sich zunächst überrascht, ihr Kontakt hatte sich in den letzten Jahren aufs dienstliche Mindestmaß reduziert. Leon selbst hatte ihm den Gefallen getan, auszusagen, sein Bruder habe dessen Wohnung nie betreten. Der rätselhafte Ausdruck schwand mit jedem Besuch ein Stück mehr aus seinen Augen, wich Vertrauen. Sie konspirierten sich gegen den großen Unbekannten, immer neue Indizien gegen den Assistenzarzt tischte er ihm auf. Immer sicherer war er sich geworden. Am Ende sicher genug, sich vor dem Besuch einige Schnäpse zu genehmigen. Ein fataler Fehler, der die Zunge schneller machte

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