Willi von Bellden (German Edition)
sie ruhig kommen, die Räuber und gefährlichen Gestalten der Nacht. Dann würde Anny verzweifelt meinen Namen schreien: »Wiiiiiiilllliii, komm und rette mich!! Hilfe!!!«
Und ich würde NICHTS tun. Ganz bestimmt NICHTS.
Schon am nächsten Tag fühlte sich das Etwas bei uns wie zu Hause. Mit einer Selbstverständlichkeit benutzte er meine Pinkelplätze (ich rannte aber ständig hinterher, um als Letzter noch einmal meine Markierung drüberzusetzen), fraß aus meiner Schüssel und nahm meine Gummibälle ins Maul, um damit herumzutoben. Doch das Schlimmste war, dass er sich an alle Familienmitglieder heranschmeichelte, um ihre Sympathien zu gewinnen. Und: Sie fielen alle darauf rein! Tiara, die vor hundert Jahren zum letzten Mal mit mir gespielt hatte, warf ausdauernd allerlei Gegenstände durch den Garten, die der Köter fröhlich zurückbrachte. Lulu, die mir nur alle Schaltjahre einmal durch mein Fell fuhr, streichelte dieses Mistvieh unentwegt, und die ganze Nachbarschaft kam zusammen, um ihn einträchtig zu bewundern.
Es ist wirklich nicht so, dass ich Neid oder Eifersucht empfand. Nein, wirklich nicht! Er ging mir ganz einfach nur auf die Nerven. Ich wünschte einfach nur, er würde dorthin zurückkehren, von wo er gekommen war.
Tanner und meine Wenigkeit waren die Einzigen, die ihn vollständig und hartnäckig ignorierten. Sogar Anka hatte ihm lächelnd die Pfote hingeschoben, um ihn willkommen zu heißen. So ein Widerling! Jetzt versuchte er sogar, mir meine große Liebe abspenstig zu machen! Falls er sich unterstehen sollte, mit ihr herumzuflirten, würde er meine Zähne an seinem Hals zu spüren bekommen. So viel war sicher.
»Sammy«, rief Tiara, »komm her, mein Guter!«
Es war geradezu lächerlich, was sich hier abspielte. Sogar Anny schien Lissi vergessen zu haben und hatte nur noch Augen für den doofen Sammy. Allein schon dieser bescheuerte Name. In einem amerikanischen Gangsterfilm, den ich mir vor Jahren einmal anschauen musste, hatte ein gewisser Sammy mitgespielt. Er war der Boss der Bande und ein übler Kerl gewesen.
Ein Name sagt anscheinend viel über den Charakter aus.
»Willi, mir ist sehr daran gelegen, dass wir Freunde werden. Gib mir eine Chance!«, sagte der Flohköter zu mir. Er besaß wahrhaftig die Frechheit, mit mir zu kommunizieren, als wären wir gute Bekannte.
»Ich habe Schlimmes hinter mir und bin unsagbar froh, dass ich hier sein darf. Bitte ...«
Tanner und ich zogen Seite an Seite davon. Lieber würde ich Churchill küssen, als dem Fiesling zu antworten. Mimi war die Einzige, die das seltsame Verhalten aller Familienmitglieder erst einmal aus der Distanz betrachtete. Weder ergriff sie Partei für Sammy noch für mich und Tanner. Stattdessen vergnügte sie sich mit den Kleinen, die sie unglaublich liebten.
In diesem Moment wünschte ich mir sehnlichst, dass Basko endlich herkam, damit ich ihm die Ereignisse schildern konnte.
Am Nachmittag traf Selma mit ihrer Tochter Anna Maria ein. Tanner und Anny halfen ihr, den dunkelblauen Volvo Kombi auszuladen, während die kleine Anna Maria erste Kontakte mit Mimi knüpfte.
In dieser Beziehung war Mimi jedoch eher nach ihrem Vater geraten (Bello sei Dank nicht im Aussehen, das Kind würde niemals Freunde finden mit grauen Koteletten, einem Stoppelbart und sechs Dioptrien) und ging daher zuerst einmal verhalten an die neue Freundschaft heran.
Diese Charaktereigenschaft war mir irgendwie sympathisch.
Als alle Sachen ausgeladen waren, kochte Anny Kaffee und tischte den Kuchen auf, den sie vorher schweigsam und in sich gekehrt in der Küche gebacken hatte. Wegen Sammy sprachen Tanner und Anny kein Wort mehr miteinander. Natürlich schloss ich mich in dieser Beziehung meinem Herrn und Gebieter an.
Sogar ihr Kuchen, nach dem ich sonst so sehr lechzte, ließ mich in meiner emotionalen Verfassung völlig kalt.
»Schön, dass du endlich da bist, Selma! Ich hoffe sehr, dass wir irgendwie helfen können!«, sagte Anny freundlich.
Selma sah niedergeschlagen und übernächtigt aus. Scheinbar machte sie sich große Sorgen um ihren Mann.
Um sie abzulenken, erzählte Anny von der verschwundenen Lissi und zeigte ihr ein Plakat, welches sie überall im Kreis Birkenfeld aufgehängt hatte. Zu meiner Schande muss ich gestehen, diese Plakataktion war völlig an mir vorbeigegangen. Heutzutage ist der Computer das Medium der Verbreitung. In diesen hatte ich jedoch, unter den gegebenen Umständen, als Hund geboren worden zu sein, nur ganz
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