Willi von Bellden (German Edition)
selten Einblick. Aber ich war froh darüber. Als Anny Selma auch noch die Handzettel zeigte, deren Verteilung sie ebenfalls in die Wege geleitet hatte, war ich baff. Dankbar beschloss ich, Anny wenigstens vor dem nächsten Einbrecher zu warnen.
Tanner kam zur Tür herein, und um die Etikette zu wahren, setzte er sich an den gemeinsamen Tisch, aber nur, um ausschließlich mit Selma zu sprechen. Den Kuchen rührte er dabei nicht an, was ihn bestimmt große Überwindung kostete, denn er liebte Kuchen, vor allem, wenn Anny ihn gebacken hatte.
Selma wollte gerade damit beginnen, über Tonis Absichten in Frankreich zu reden, als schon wieder das Telefon läutete. Anny stand auf und nahm den Hörer ab. Sie bekam riesige Augen, dann schluckte sie. Schließlich stammelte sie irgendetwas vor sich hin, das sich wie: »Danke, nett ... das gibt es doch nicht ...« und »bitte unbedingt informieren« anhörte.
Wir drehten uns alle zu der entsetzt dreinschauenden Anny um.
»Das war die Polizei!«, rief sie aus.
»Und was wollte die Polizei von uns?«, fragte mein Herrchen, nachdem er festgestellt hatte, dass keine weiteren Auskünfte seiner Frau mehr folgen würden.
»Sie haben den Mercedes gefunden!« Anny schrie die Worte fast.
»Und wo?«, fragte Tanner weiter.
»Im Gasthaus Böß in Schwollen! Sie wollen die Besitzer des Mercedes sofort zu Lissis Verschwinden befragen«, sagte sie. Anscheinend kämpfte sie gerade mit der Entscheidung zu lachen oder zu weinen.
»Dann sind wir gespannt, was sich daraus ergibt«, entgegnete Tanner. »Ich meine ... es könnte auch sein, dass die Menschen in dem Mercedes überhaupt nichts mit dem Verschwinden von Lissi zu tun haben.«
Annys bitterböse Miene brachte ihn zum Schweigen.
»Sie haben etwas damit zu tun! Das sagt mir meine Intuition«, erwiderte sie in scharfem Tonfall.
Selma schaute unsicher von einem zum anderen.
»Ja. Wenn du die nicht hättest, dann würde unser Leben ganz bestimmt anders aussehen. So müssten wir auch nicht Sammy durchfüttern, denn deine Intuition hätte dir niemals suggeriert, ihn hierher mitzubringen!« Tanner konnte es nicht lassen.
Er musste immer das letzte Wort haben, was Anny in diesem Augenblick veranlasste, ihn vollständig zu ignorieren.
Wenigstens kehrte für die nachfolgenden Stunden ein wenig Ruhe ein. Selma erzählte, während Anny und Tanner interessiert zuhörten. Ich achtete natürlich darauf, ebenfalls alles mitzubekommen, doch was sie zu sagen hatte, wusste ich bereits. Toni war aufgebrochen, um frühkeltische Fürstengräber unter die Lupe zu nehmen. Dabei wollte er zuerst nach Vix in Frankreich, genauer gesagt in den Burgund, um seinen Recherchen nachzugehen. Anschließend stand ein Besuch bei einer befreundeten Winzerfamilie an, die sich schon sehr auf sein Kommen gefreut hatte, wie Selma berichtete, denn Toni hatte lange mit Mathis, dem Winzer, telefoniert. Auch Tanner kannte ihn, da er ihn auf Feiern von Toni kennengelernt hatte. Toni selbst stammte ebenfalls aus einer der ältesten Winzerfamilien in der Moselregion. Nach dem Abitur hatte er dem heimischen Betrieb den Rücken gekehrt, um seiner Leidenschaft nachzugehen: der Archäologie. Außerdem wollte er sich auf dieser Reise noch mit irgendeinem Freund in Lyon treffen, der bei der dortigen Denkmalbehörde arbeitete. Nach Aussage von Manny, einem Grabungstechniker, mit dem Tanner lose befreundet war, wurde Toni zwar kurz in Vix auf einer Grabungsstätte gesehen, doch danach verlor sich seine Spur. Weder war er bei der befreundeten Winzerfamilie angekommen, die ihn sehnlichst erwartete, noch hatte er angerufen und seine Frau über seinen Aufenthaltsort informiert.
»Ich mache mir große Sorgen um ihn«, sagte Selma. »Seit einigen Wochen war er auch ein wenig merkwürdig ...«
»Wie meinst du das?«, fragte Tanner nach.
»Na ja ... er vergaß viele Dinge, die ich ihm gerade erst erzählt hatte, oder war mit seinen Gedanken abwesend. Auch für Anna Maria hatte er keine Zeit mehr. Er wirkte einfach anders. Und es ist noch nie vorgekommen, dass er sich nicht täglich mindestens einmal bei uns gemeldet hat, wenn er verreist war!« Die Sorge stand ihr ins Gesicht geschrieben.
Tanner hing seinen Gedanken nach.
»Der Einzige, der ihn in Vix gesehen hat, ist Manny. Trotzdem finde ich es ungewöhnlich, dass die anderen ihn nicht bemerkt haben sollen. Schließlich hielten sie sich alle angeblich am gleichen Ort auf.«
Selma nickte.
»Das ist mehr als merkwürdig«, meinte sie
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