Willi von Bellden - Wer anderen eine Grube gräbt ... (German Edition)
Wochen an die zuständigen Denkmalbehörden weitergeleitet würden.
Mein Boss nahm das Angebot selbstverständlich an. So etwas reizte wahrscheinlich jeden Archäologen.
Eine Frage beschäftigte mich schon die ganze Zeit über, und ich war froh, als Tanner sie endlich stellte.
„Warum hat der junge Deschler ausgerechnet diese römische Visiermaske mit der Leiche zusammen vergraben? Und weshalb auf einer Obstwiese im Neubaugebiet? Wo man sie früher oder später entdecken musste!“
Paula nickte. „Genau das haben wir uns natürlich auch gefragt. Laut Prof. Dr. Kramer von der forensischen Psychiatrie in Merzig verhält es sich so, dass Deschler junior unbewusst schon wollte, dass man seinen Vater fand. Natürlich war das nicht geplant. Kein bewusster Schritt, wenn du weißt was ich meine. Aber innerlich muss es sein Wunsch gewesen sein. Denk an die Inschrift auf der Maske, ... etwas frei übersetzt: Seht nur her, so erging es dem Tyrannen! Das ist nichts anders, als ein stummer Schrei nach draußen. An alle, die nichts dagegen getan haben, als er jahrelang gequält, gedemütigt und misshandelt worden war.“
Anny schaute Paula betroffen an, während Tanner nachdenklich an der Tischdecke nestelte.
„Was die römische Maske angeht, so ist die Antwort relativ einfach. Deschler schuf, in seinem Wahn, den Vater den er gerne gehabt hätte. Wie du schon bei Grothe angedeutet hast Michael, steht die Maske für die Qualitäten ihrer Träger: Beeindruckend, Ehrenhaft, Angesehen! All die Eigenschaften, die Deschler gerne an seinem Vater gesehen hätte. Also entfernte er das bösartige und brutale Gesicht des verhassten Vaters, und ersetzte es durch ein edleres Antlitz! Und ... dass es ausgerechnet eine römische Offiziersmaske sein musste, so denken unsere Psychologen, stellt lediglich eine Reminiszenz an die große Liebe des Alten dar, die Archäologie. Eine Liebe und Leidenschaft, die er für den Sohn niemals aufgebracht hatte!“
Paula machte jetzt selbst einen betretenen Eindruck, und Tanner nickte gedankenvoll, als er sagte: „So was in der Art hatte ich erwartet. Was für ein schreckliches Schicksal! Was für eine schreckliche Tat!“
Anny wirkte sehr betroffen, als sie ganz leise, wie zu sich selbst, sagte: „Ich möchte nicht wissen, wie vielen Kindern es in unserer unmittelbaren Nähe ebenso schlecht ergeht. Die misshandelt werden, oder aufs äußerste in ihrer Persönlichkeit beschnitten! Bestimmt haben die Nachbarn der Deschlers so einiges mitbekommen, aber niemand hat sich getraut etwas zu sagen. Man will ja keinen Streit riskieren unter Nachbarn. Und irgendwann hat man sich an die Schreie eines Jungen gewöhnt. Verharmlost sie, oder wendet sich einfach ab!“
Sie redeten noch eine Weile über dieses traurige Thema, über die Ignoranz der Menschen, die einfach weg sehen, wenn andere leiden statt zu helfen. Doch ich zog es vor, noch eine Weile mit Basko zu plaudern, denn Anny ließ uns in den Garten hinaus.
Schließlich verabschiedete ich meinen Freund, und nahm ihm das Versprechen ab, dass er bald wiederkam. Anny tat das gleiche mit Paula, als diese wenig später ging.
Alles in allem waren es zwei schöne, erholsame Tage mit meiner Familie, die ich sehr genossen habe. Nur Ankas Nähe hatte mir in diesen glücklichen Stunden gefehlt. Ich musste sie unbedingt bald wieder sehen.
Als Anny allerdings am Freitag Abend ihre Abreise ankündigte, weil sie die Pferde nicht so lange allein lassen konnte, machte sich eine große Leere in mir breit.
Bevor sie ging, fragte Tanner: „Morgen beginnt das Folkkonzert am Ringwall, dort spielen sie Musik aus Irland und der Bretagne. Hättest du Lust ... ?“
„Nein, diesmal nicht. Tiara und Louisa sind ein bisschen angeschlagen und ich möchte nicht, dass Mimi sich auch erkältet!“ erwiderte Anny bedauernd.
„Dann komme ich zu euch, und wir machen uns einen schönen Nachmittag“, erwiderte ihr Mann.
„Ach Unsinn! Geh du nur, und entspann dich. Trink ein paar Bierchen mit deinem Kumpel George! Aber versprich mir, dass du vernünftig bist! Du bist noch weit davon entfernt, wieder fit zu sein.“
Am diesem Samstag Morgen hatte ich einen anderen Eindruck von Tanners Gesundheitszustand, als Anny prognostiziert hatte. Er war bester Laune, und verblüffte mich mit einer Emsigkeit, die er auch unverletzt, höchstens fünfmal pro Jahr aufwies.
Zwar schienen ihm die Prellungen noch einige Probleme zu bereiten, aber er frühstückte ausgiebig, und begann
Weitere Kostenlose Bücher