Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)
mutterseelenallein mit ihrem Problem mittendrin.
Doch sie würde es tun, und zwar jetzt, auf der Stelle. Die Entscheidung war gefallen. Aber der Entscheidung gelang es nicht, die dazugehörigen Muskeln zu erreichen. Sie stand noch immer da und sah zu.
»Ich sollte Sie nicht monopolisieren!« sagte Mrs. Fred Toppler zu Dr. Wilfred. »Aber ich bin so nervös! Jedes Jahr dasselbe! Tanzen, ja, überhaupt kein Problem. Ich könnte sofort aufstehen und mir auf dem Tisch die Seele aus dem Leib tanzen und würde jede Sekunde genießen! Aber ich muss eine Rede halten, wo ich doch nur unter den Tisch kriechen und sterben will! Und deswegen rede ich die ganze Zeit! Es ist schrecklich! Ich sollte Ihnen zuhören.
Wo war ich? Oh, ja. Christian. Ich sollten Ihnen gegenüber meinen eigenen Direktor natürlich nicht kritisieren. Aber warum ist er nicht hier? Warum ist er nie dabei? Was tut er den ganzen Tag? Wir wissen es nicht! Wir kriegen ihn nie zu Gesicht! Na gut, er ist ein Elf, wie Dieter. Aber sogar ein Elf muss hin und wieder sein Elfenland verlassen!«
Dr. Wilfred sah sie an, nickte und lächelte sein sanftes mitfühlendes Lächeln, während sie redete und redete, worüber auch immer sie redete. Doch er dachte unangenehme Gedanken. Es war ihm gelungen, eine unmögliche Höhe zu erklimmen. Bloß konnte er jetzt nicht mehr hinunter. Er saß auf dem Gipfel fest. Durch einen ganz persönlichen Willensakt hatte er sich zu Dr. Wilfred gemacht. Er blieb Dr. Wilfred dank des Willens anderer.
»Also«, sagte Mrs. Fred Toppler, »Christians Tage hier sind gezählt. Nur weiß er es noch nicht. Wie werden wir es anstellen? Mr. Papadopoulou wird es richten. Seinen Nachschub an Linsen abschneiden. Minderjährige Jungen auf seinem Computer. Zementschuhe. Ich weiß es nicht. Ich will es auch gar nicht wissen. Sie sollen es mir sagen, wenn es vorbei ist.
Ich sollte das nicht jemand erzählen, den ich erst heute nachmittag kennengelernt habe. Aber ich habe das Gefühl, als würde ich Sie richtig gut kennen. Ich habe das Gefühl, dass ich mich Ihnen anvertrauen kann!«
Die Geister, die er rief. Er hatte ein Ungeheuer geschaffen, und sein Geschöpf war vom Laboratoriumstisch aufgestanden und davongegangen. Und hatte gesprochen. Und war gehört worden. Und hatte still und leise seinen Schöpfer umgebracht.
»Also gut«, sagte Mrs. Fred Toppler, »darüber wollte ich mit Ihnen sprechen. Ich brauche Ihren Rat. Wer soll Christians Nachfolger werden?«
Sie hielt inne. Sie schaute an Dr. Wilfreds Kopf vorbei zu dem Gast auf seiner anderen Seite.
»O mein Gott!« sagte sie. »Mrs. Skorbatowa! Sie sieht aus, als hätten sie sie gerade aus dem Permafrost ausgegraben! Sie müssen mit ihr sprechen. Ich kann Sie später fragen. Wenn sie sich hier nicht wohl fühlt, wird sie es an Mr. Skorbatow auslassen – Mr. Skorbatow wird es an Mr. Papadopoulou auslassen –, und wir können dieses tolle Geschäft nicht machen, von dem die Jungs dauernd reden. Was für ein tolles Geschäft? Ich weiß es nicht. Ich will es nicht wissen. Sie sollen es mir sagen, wenn es in trockenen Tüchern ist.«
Dr. Wilfred wandte den Kopf. Mrs. Skorbatowa schaute ins Leere, ihr Gesicht so ausdruckslos wie ihr aufgetürmtes blondes Haar und ihre nackten braunen Schultern; eine Eisgöttin, die mitten in der warmen mediterranen Nacht in einer eigenen kalten Welt lebte.
»Sie spricht aber kein Englisch, oder?« fragte Dr. Wilfred.
»Kein Wort«, sagte Mrs. Toppler. »Erzählen Sie ihr, was Ihnen gerade einfällt. Sie muss nur sehen, dass jemand sich bemüht. Sagen Sie ihr das kleine Einmaleins auf. Sie wird es nicht verstehen. Ein Mund, der auf- und zugeht. Mehr wollen die meisten Leute hier nicht, wenn man es recht betrachtet. Und eins Ihrer netten Lächeln. Ich lese noch einmal meine Rede durch.«
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»Stellen Sie sich vor, Sie wären es«, sagte Dr. Wilfred zu Mrs. Skorbatowa, während er seine Pilze à la grecque und sie ihr Rumpsteak aß. »Sie stehen hier am Pult. Letztes Gehüstel und Geraschel, während das Publikum verstummt. Sie warten, bis es vollkommen still ist. Sie schauen in die Dunkelheit, und da sind die vielen Gesichter, die zu Ihnen aufblicken und warten, was Sie sagen werden.
Und Sie wissen nicht, was Sie sagen werden! Sie können alles sagen! Dinge, von denen Sie nicht wussten, dass Sie sie wissen! Dinge, die Sie nicht verstehen! Und vielleicht sitzt der echte Dr. Wilfred die ganze Zeit im Publikum. Und wird gleich aufstehen und Sie vor der ganzen
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