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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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»Wir müssen ihnen nur irgendetwas erzählen.«
    Inzwischen war mir aufgegangen, dass der kleine Racker dort hinten nicht einfach nur zum Spaß Gegenstände hin und her warf. Er arbeitete. Ich sagte Herrn Han, dass ich seinen Sohn gern für eine Weile unterstützen würde. Ich könne hart arbeiten. Diese Behauptung erheiterte die ganze Familie. Als sie aufgehört hatten zu lachen, blickte ich immer noch erwartungsvoll drein.
    »Meint er das ernst?«, fragte Herr Han.
    »Ich glaube schon«, antwortete Cecily.
    Herr Han zuckte die Schultern. »Okay, klar. Lang kann ihm zeigen, wie es geht.«
    Und so begann meine Karriere im Elektroschrottrecycling; mein Chef war ein achtjähriger Hitzkopf namens Lang. Wir hatten die Aufgabe, das wiederverwertbare Plastik von den Leiterplatten, die an der Wand mannshoch aufgestapelt waren, zu entfernen. Wir saßen am Fuß dieses Hügels auf kleinen Plastikstühlen und lösten jedes Mal, wenn wir eine neue Platine in die Hand nahmen, eine kleine Lawine aus.
    Das meiste recycelbare Plastik im Motherboard eines Com puters befindet sich in den Steckplätzen für die Soundkarte und dergleichen. Mithilfe eines schraubenziehergroßen Brecheisens und einer Zange konnte man die schmalen Plastikrechtecke mit ein paar schnellen Handbewegungen abknibbeln – zumindest wenn man Lang hieß. Lang besaß zudem die außergewöhnliche Fähigkeit, die Platten mit den Füßen zu bewegen – auf diese Weise blieben seine Hände frei und er konnte ohne Unterbrechung hämmern und Teile abbrechen. Er trug kuschlige, braune Hundehausschuhe mit Schlappohren, und es sah aus, als würden ihm zwei sehr gut abgerichtete Welpen bei der Arbeit helfen. Er war eine Maschine. In der Zeit, die ich brauchte, um ein einziges ramponiertes Plastikstück von der Platte zu lösen, konnte Lang drei ganze Platinen erledigen: Bei jeder Bewegung flog Plastik ab und die Platten wirbelten unter den flatternden Ohren seiner kleinen Hündchen herum.
    Ich hielt ein eben erkämpftes Plastikstück in die Höhe. »Guck mal«, sagte ich stolz.
    Lang schlug sich vor die Stirn, rief »Bu yao!« und entriss mir meine Platte.
    »Cecily«, rief ich quer durchs Wohnzimmer. »Was bedeutet ›buyao‹?«
    »Es bedeutet ›Will nicht‹«, sagte sie.
    Wie sich herausstellte, gab es keine bessere Art, ein paar nützliche Brocken Chinesisch zu lernen, als sich ein wenig an Kinderarbeit zu beteiligen. Neben bu yao lernte ich nämlich yao, »will«, und hao le, das so viel bedeutet wie »fertig«. So etablierten Lang und ich ein Kommunikationssystem, und ich lernte langsam, bei welchen Plastikteilen sich das Abknibbeln lohnte und bei welchen nicht. In manchen war, glaube ich, Metall enthalten, deshalb eigneten sie sich nicht zum Einschmelzen.
    In den nächsten Stunden wandelte sich Langs Begeisterung darüber, dass er einen Erwachsenen herumkommandieren konnte, in Freude an unserer immer effektiveren Zusammenarbeit, und bald brachte er mir, wenn er für seinen Onkel Zigaretten holte, ebenfalls eine mit und steckte mir die bereits angezündete Zigarette in den Mund, bevor ich auch nur darüber nachdenken konnte, bu yao zu sagen.
    Der Rauch stach mir in die Augen, und ich war froh, dass ich keine Platinen auskochen musste. Diese Arbeit fand in dem überdachten Eingang zwischen Werkstatt und Straße statt und die Hans verrichteten sie nicht selbst. Das war die Aufgabe ihres einzigen Angestellten, der vor einem Kocher saß, auf dem ein Topf mit geschmolzenem, schillerndem Lötzinn stand. Mit einer Spitzzange nahm er eine Platine auf und schwenkte sie in der silbrigen Lache. Wenn das Lötmetall, das die Bauteile an der Platte befestigte, schmolz, stiegen beißende Dämpfe in die selbst gebastelte Dunstabzugshaube, durch die sie in einen Ka min geleitet und von dort in die Straße abgelassen wurden. Weil fast jedes Gebäude einen dieser Schornsteine besitzt, riecht es in den Straßen von Guiyu nach geschmolzenen Schaltkreisen.
    Nachdem sie 15 oder zwanzig Sekunden erhitzt worden waren, schmolzen die Verbindungen der Leiterplatte. Der Arbeiter nahm sie mit der Zange auf, drehte sie herum und schlug sie mit Schwung gegen ein Stück Beton neben dem Kocher. Die Einzelteile flogen ab (mit ein paar Spritzern Zinn und Blei, je nach verwendetem Lötmetall) und fielen auf einen stetig wachsenden Haufen. Dann wurde die Platte auf einen Stapel nackter Platinen geworfen.
    In den Platten war Gold. Für die Leiterbahnen auf den Platinen wird Kupfer verwendet, doch das

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