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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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muss mit einer Beschichtung, die häufig aus mikroskopisch dünnen Schichten von Goldlegierungen besteht, vor Rostbildung geschützt werden. Man braucht viele Platinen, um eine nennenswerte Menge Gold zusammenzubekommen, aber Platinen gibt es in Guiyu ja reich lich. Hatte Herr Han eine Charge beisammen, gab er die Platten an einen anderen Unternehmer weiter, der das Gold extrahierte. Das war der schmutzigste Teil des gesamten Vorgangs. Ich hatte Geschichten von Säurebädern und giftigen Lagerfeuern gehört. Das wollte ich natürlich mit eigenen Augen sehen.
    »Tun Sie es nicht«, sagte Herr Han. »Versuchen Sie nicht, diese Leute zu finden. Sie arbeiten illegal und sind sehr argwöh nisch. Sie könnten in Schwierigkeiten geraten. Bitte versuchen Sie nicht, sie zu finden.«
    Eigentlich hatte ich dafür ohnehin keine Zeit. Ich konzentrierte mich auf meine Arbeit, darauf, mein Tempo zu erhöhen. Markennamen duckten sich unter meinem Brecheisen: Intel, Acer, Foxconn, Pentium, Philips, Virtex, Blitzen. Jedes Mal, wenn ich einen Hauptprozessor von einer Platine entfernt hatte, hielt Lang den Sammeleimer für mich hoch, ich warf einen Dreier und er strahlte, als hätten wir die Meisterschaft gewonnen.
    Ein Zug an meiner Zigarette und dann kam die nächste Platte dran, von der ich das Plastik abbrach. Wenn ich nicht sicher war, stoppte ich kurz, zeigte sie und fragte:
    »Yao?«
    Lang schrie: » BU YAO! «
    Und ich schrie ebenfalls: » BU YAO! «
    Wenn ich glaubte, fertig zu sein, fragte ich: »Hao le?« und Lang antwortete »Hao le« und klang dabei fast philosophisch. Dann stoppten seine Helferhunde kurz und mit einem hoffentlich respektvollen oder zumindest kameradschaftlichen Blick schob er mir eine weitere Platte zu, der kleine Sklaventreiber.
    *
    Eine Ladenfront mit einem kleinen Schaukasten voller integrierter Schaltkreise. Das winzige Geschäft wurde von zwei jungen Brüdern geführt. Ein Meter hinter dem Schaukasten be fand sich ein Etagenbett. Die beiden lebten im Ladenlokal. Links stand ein Tisch mit hundert kleinen Bechern darauf, in die sie ihre Waren sortierten. Einer der Brüder, er trug eine rote Kunstlederjacke und ein gestreiftes Hemd, sah leicht belustigt zu, als ich Fotos von seinem Schaukasten machte.
    Ich wollte einen kleinen Plastikbeutel voller Chips als Souvenir kaufen. Das verwirrte ihn. Wofür brauchte ich die? Welche Art von Chip ich kaufte, hing schließlich von seiner Verwendung ab. Als er schließlich begriff, weigerte er sich, mir einen Beutel zu verkaufen, sondern bestand darauf, ihn mir zu schenken.
    In einer belebten Marktstraße kamen wir an einem Nagelstudio mit sechs jungen Frauen in schwarzen Strumpfhosen und hochhackigen Stiefeln vorbei. Dieses Outfit trugen alle jungen oder jüngeren Frauen in Guiyu. Sie schnatterten, während sie sich über ihre Arbeit beugten. Natürlich war es kein Nagelstudio, sondern ein Mikrochipladen. Jede der Frauen hatte eine Handvoll dieser Chips. Mit Pinzetten nahmen sie einen auf und tauchten die beiden Kontaktreihen nacheinander in das geschmolzene Lötmetall auf einem Kocher, den sie alle gemeinsam benutzten. Sie arbeiteten zügig und mit sparsamen Bewegungen, durch unzählige Wiederholungen eingeübt.
    Wir fragten, ob wir ein Foto von ihnen bei der Arbeit machen durften. Sie kicherten. Eine von ihnen wedelte in der Sekunde, in der sie nach der nächsten Portion Chips griff, mit der Hand vor dem Gesicht und lächelte. Bitte nicht.
    Wir spazierten durch die Straßen, kamen an schmalen, mit Müll verstopften Kanälen vorbei. Aber zugemüllte Kanäle sind wie Sonnenuntergänge. Sie sehen spektakulär aus, bedeuten aber nicht unbedingt viel. Interessanter waren die vielen verschiedenen Gerüche in Guiyu, die Schattierungen von Wasser und Luft, die zu den Wolken gebrutzelter Schaltkreise hinzukamen. Auf dem Fluss trieben Flecken und es stank nach Abwasser. In der Nähe des Busbahnhofs hing über einem Kanal neben der Straße ein giftiger Gestank in der Luft. Auf der Brücke stieß ein vorbeifahrender dreirädriger Traktor tiefschwarze Abgase aus. Einigermaßen entsetzt sah ich die Wolke auf uns zukommen. Doch auf unserer Höhe drosselte der Fahrer kurz den Motor und ersparte uns das Schlimmste. Sogar in Guiyu war man höflich.
    Wir nahmen eine Seitengasse und stießen auf eine Gruppe, die sich durch Paletten mit Motorola Broadband Media Centers – Verteilerkästen – arbeitete. Ein Mann hatte auf einer Seite des Arbeitsbereiches eine Wand aus etwa

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