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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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als der gegen den Trichter prallte und die beiden Männer zogen an den Hebeln, nutzten den Schwung des Wagens, um ihn umzukippen. Der Inhalt fiel in eine Schütte, in der die Steine herausgerüttelt wurden, und wurde dann über ein Förderband auf einen Haufen befördert, wo ein Frontlader ihn mit riesigen Schaufeln auf einen Lkw lud.
    Krachend kam der Wagen wieder auf seinen Rollen zum Stehen, und die Arbeiter zogen ihn zurück, brachten ihn mit vor Anstrengung verzerrten Gesichtern in Bewegung, bis der erste Mann ihn allein zum Tunnel und dann auf ein Nebengleis zurückziehen konnte, wo der Wagen auf seine nächste Grubenfahrt wartete. Der zweite Förderwagen war schon gelöst und vom nächsten Bergarbeiter den leichten Bogen entlanggestoßen worden. Es war der Arbeiter, der bei unserer Ankunft geschlafen hatte. Sein Blick war immer noch schläfrig, als der Mann seine Tonne Richtung Schütte schob.
    Wir hatten dort den ganzen Nachmittag herumgehangen, die Arbeiter hatten Witze gerissen, wir hatten das internationale Ritual vollzogen, gemeinsam Fotos auf dem Display einer Digitalkamera anzusehen, und nun sahen wir ihnen beim Arbeiten zu. Unablässig schoss Kohle aus dem Stollen, immer fünf Wagen auf einmal, und die gar nicht so traurigen Kohlekumpel vollführten mit Schwung ihre routinierten Bewegungen. Sie hätten eine großartige Werbung für den chinesischen Kommunismus aus vorkapitalistischer Zeit abgegeben. Jeder Arbeiter hatte seine Aufgabe und jede Aufgabe ihren Platz in der Kette, es war eine Choreografie der Arbeit, virtuos in einer Weise, wie es nur ungelernte Arbeit sein kann. Die Männer barsten schier vor rauer, kohlefleckiger Intelligenz. Zwischen den einzelnen Zügen rauchten sie und unterhielten sich. Der traurige Kohlekumpel war nicht gedemütigt und finster, sondern scharfsinnig. Geistreich. Er ließ sich lächelnd die Sonne ins Gesicht scheinen, wenn er einen Augenblick Zeit hatte. Vielleicht war er einfach froh, über Tage zu sein.
    *
    In der Hotellobby probierte Cecily den Schuhputzautomaten an ihren komplett schwarz gewordenen Sneakers aus. Es änderte jedoch nichts, außer, dass die Drehbürste auch schwarz wurde.
    Ich ging auf mein Zimmer und zog meine Kleidung aus, auf der überall schwarze Flecken waren, obwohl ich keinen Wagen geschoben und nicht mit Kohle gearbeitet hatte. Das bleibt einfach nicht aus, wenn man sich in unmittelbarer Nähe eines Kohlebergwerks aufhält. Liu war vor uns in die Stadt zurückgefahren, also nahmen uns die Arbeiter mittags auf ihren Motorrädern mit nach unten. Und befindet man sich Schulter an Schulter mit einem Kohlekumpel, wird – auch wenn man im Vergleich noch sauber aussieht – alles bedeckt mit schwarzem Staub, der bis in die Poren dringt und unter die Fingernägel kriecht.
    Ich wusch mir das Gesicht, starrte auf die Schmutzspur auf dem Waschlappen, setzte mich auf die Bettkante und vermisste die Frau Doktor. Und wie. Ich dachte an die Motorradfahrt hin unter ins Tal. Die Fahrer hatten die Motoren abgestellt, denn auch Bergleute sparen gerne Sprit, wir sausten den steilen Berg hinunter und der Wind ließ meine Augen tränen. Als ich abstieg, war meine Jacke vorn an den Stellen, wo ich mich bei der Fahrt an den traurigen Kohlekumpel gelehnt hatte, mit schwarzen Streifen überzogen.

 

 
    SIEBEN DIE GÖTTER DES ABWASSERKANALS
    SIEBEN
    DIE GÖTTER DES ABWASSERKANALS
    INDIENS DRECKIGSTEN FLUSS HINUNTER
    Nachdem Sati sich umgebracht hatte, war ihr Ehemann untröstlich. Sati war es, die ihn von der Liebe überzeugt und Leidenschaft gelehrt hatte. Für sie hatte er sein asketisches, zurückgezogenes Leben aufgegeben, um wieder am weltlichen Geschehen teilzunehmen. Und seiner Ehre wegen warf sie sich auf den Scheiterhaufen.
    Er zog ihren Körper aus dem Feuer und wanderte mit ihm auf den Armen tagelang herum, außer sich vor Trauer und Wut. Da er, Shiva, ein Gott war, äußerte sich sein Zorn in Zerstörung – sodass die ganze Welt im Chaos zu versinken drohte. Vishnu ging zu ihm, um ihn zu beruhigen, und zerlegte Satis Körper in Einzelteile, während Shiva ihn trug. (Götter haben eben ihre eigene Art.) Die Stellen, auf die Satis Leichenteile fielen, gelten immer noch als heilig.
    Mit leeren Händen ging Shiva zum Fluss, der Yamuna. Yamuna, Tochter der Sonne, Schwester des Todes, Göttin der Liebe und des Mitgefühls. Dort badete Shiva und seine verglühende Verzweiflung färbte den Fluss schwarz.
    Das, so sagt man, ist der Grund für die Farbe der

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