Willkommen im sonnigen Tschernobyl
sauber.«
Während ich Trivedi und Seth zuhörte, ging mir auf, dass die grausame Ironie der Yamuna-Geschichte nicht allein darin lag, dass ihre Heiligkeit sie nicht schützte oder dass Indiens Umweltgesetzgebung überhaupt nichts, mit der tatsächlichen Situation der Natur zu tun hatte. Das Schlimmste – und Unglaubliche – war, dass die Säuberung der Flüsse jahrelang ganz oben auf der Agenda der Regierung gestanden hatte. Da gab es – neben vielen anderen Programmen und Plänen, von denen viele noch heute laufen – den Ganga Action Plan ( GAP , begonnen 1985), den Yamuna Action Plan ( YAP , 1993), den National River Conservation Plan (1995) sowie YAP II (2005) und YAP III (2011). Für solche Programme war eine Menge Geld geflossen, über eine halbe Milliarde Dollar in den letzten zwanzig Jahren. Das meiste davon war für den Bau von Kläranlagen ausgegeben worden.
Im besten Fall konnte man es als eine Nachahmung der Münzsammlertätigkeit in größerem Stil betrachten: Die Regierung warf Milliarden Rupien in den Fluss und die Erbauer der Infrastruktur waren zur Stelle, um das Geld wieder herauszuschaufeln.
Das Problem dieses Ansatzes war, dass es nicht genügte, Kläranlagen zu bauen. »Wir geben unheimlich viel Geld von der Weltbank und aus anderen Quellen aus, nehmen sogar Kredite auf«, sagte Trivedi. Aber kaum etwas von der mit diesem Geld gebauten Infrastruktur funktionierte tatsächlich. »Man nimmt den Kredit auf und baut die Anlage und dann fehlt das Geld, um sie zu betreiben! Es kann nur funktionieren, wenn kontinuierlich Gelder fließen.« Lächelnd schüttelte er den Kopf. »Wenn man eine Kläranlage baut, muss man sich zuerst überlegen, wie sie in den nächsten zwanzig, dreißig Jahren laufen soll. Aber darum haben wir uns nie gekümmert. Wir haben einfach das Programm umgesetzt.«
»Das überhaupt nichts bringt?«, rate ich.
»Das überhaupt nichts bringt«, bestätigt Trivedi.
Da Delhi keine Abgaben für Abwasseraufbereitung erhebt, fließen keine Gelder, um die Kläranlagen aufrechtzuerhalten. Aber ein Großteil der Menschen in Delhi könnte sich diese Gebühren sowieso nicht leisten. Ein weiteres Problem ist die chaotische Bebauung der Stadt. Viele Viertel in Delhi sind ohne Plan gewachsen, ohne dass irgendjemand sich Gedanken über die Wasserversorgung und Abwasseraufbereitung gemacht hätte, selbst wenn sie finanzierbar gewesen wären. Mit YAP -Geldern gebaute Kläranlagen wurden daher dorthin gesetzt, wo Platz war, nicht da, wo Abwasser aufzubereiten war.
Trivedi meinte, eine realistische Lösung müsse bei dem Raub bau des Grundwassers im Flussbecken ansetzen. Das bedeutete, Regenwasser aufzufangen und zur Bewässerung zu nutzen – eine sehr alte Praxis in der indischen Tradition. Dorfteiche und Lehmdämme können dafür sorgen, dass das Monsunwasser lange genug steht, um in den Boden zu sickern und den niedrigen Grundwasserspiegel wieder zu erhöhen. »Auf diese Weise können wir den Grundwasserverlust im gesamten Einzugsgebiet reduzieren«, sagte Trivedi. »Und wenn der Grundwasserspiegel steigt, fließen auch alle Flüsse wieder.«
Nachdem er mir erläutert hatte, wie man aus allen indischen Flüssen wieder intakte Gewässer machen könne, legte er die Hände auf den Tisch. Ich ahnte eine weitere Hiobsbotschaft.
»Die Nutzung von Regenwasser«, hakte ich nach. »War das etwas, das auf lokaler Ebene geschah?«
»Ja«, antwortete er. »Aber die Regierung gibt immer nur Geld für ganz große Projekte aus. Wenn die Menschen kleine Projekte vorschlagen, zum Beispiel einen Stauweiher oder einen Dorfteich für fünftausend Dollar …« Er brach ab, immer noch lächelnd. »Dann sagen sie: ›Nein, nein, nein. Das ist sehr klein.‹«
*
Der einzige Ort, an dem Delhi sich ein wenig vom Leben am Fluss erhalten hat, das es eigentlich überall haben sollte, ist Ram Ghat, gleich unterhalb der Wazirabad-Staustufe an der Westseite des Flusses. Hinter diesen Damm, der zugleich auch als Brücke nach Ost-Delhi dient, wird das Trinkwasser für die Stadt gespeichert.
Ram Ghat ist ein Ufer mit breiten Treppen, die steil von einem Wäldchen neben der Straße zum Wasser hin abfallen. Die obere Kante des Ghats grenzt an die haushohe Staustufe. Dicke Betonpfeiler stützen die Straße, dazwischen halten Metalltore den Strom zurück. Zur Regenzeit werden dort große Wassermengen hindurchgelassen, aber an dem Tag, als Mansi und ich uns dort aufhielten, waren alle Tore außer einem geschlossen,
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