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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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seinem Hund Michael. Rani kraulte träge den Bauch des dösenden Hundes, ein Bild artenübergreifenden Friedens. Das war die Art symbiotischer Freundschaft, die der Mensch mit der übrigen Natur eingehen sollte, dachte ich. Doch dann begann Rani, an Michaels Anus herumzufingern, er knurrte und schüttelte sie ab.
    Wie der Bootsführer Ravinder und die Männer bei der Verbrennungsstätte gehörten Jagdish, Govind und ihre Kollegen zu den letzten Menschen in Delhi, für die die Yamuna nicht nur im spirituellen Sinn Leben spendete. Und Govind mochte seine Arbeit. »Wir sind unser eigener Herr«, erklärte er. »Wir gehen hinein, wann wir wollen. Hier gibt es keine Spannungen.«
    Als ich ihn fragte, ob er religiös sei, zuckte er die Schultern. »Die Welt folgt Gott, also müssen wir das auch tun«, antwortete er. Ich war mir nicht sicher, ob das nun bedeutete, dass er gläubig war oder nicht. Opferte er? Er machte eine unbestimmte Kopfbewegung. Manchmal ein paar Blumen oder Räucherwerk. Mehr nicht.
    »Wir holen die Opfergaben heraus«, stellte er klar. »Wir geben keine hinein.«
    *
    Nicht nur die Flüsse bescheinigen Indiens Legitimation als Supermacht der Umweltverschmutzung. Da gibt es die unglaublichen Schiffsabwrackstrände von Alang und die Bleihütten von Tijala. Und nicht zu vergessen Kanpur mit seinen schwermetallhaltigen Gerbereiabwässern. Ganz Südasien ist ein Wunderland nicht aufbereiteten Giftmülls. Indiens CO 2 -Emissionen pro Kopf sind zwar nach wie vor niedrig, aber sein Wirtschaftswachstum und die Tatsache, dass es dort 1,2 Milliarden dieser Köpfe gibt, bedeuten, dass es immer noch eine gewaltige Quelle von Klimagasen ist.
    Ironischerweise ist Indien, was seine Umweltgesetzgebung angeht, extrem fortschrittlich. Die Verfassung schreibt sogar vor, »der Staat soll danach streben, die Umwelt zu schützen und zu fördern und die Wälder und Wildtiere des Landes zu erhalten«. Als ob das nicht schon genug wäre, um einem amerikanischen Naturschützer wacklige Knie zu bescheren, wird dort weiterhin erklärt, »es soll die Pflicht jedes indischen Bürgers sein, die Umwelt zu schützen und zu fördern, darunter Wälder, Seen, Flüsse und Wildtiere, und Mitgefühl mit allen Lebewesen zu haben«. Und sie hat den Rückhalt eines eifrigen Obersten Gerichtshofs, der verbindliche Regelungen für bestimmte Probleme trifft. Klingt paradiesisch.
    Doch die Ergebnisse sind nicht besonders. Bharat Lal Seth, Forscher und Autor des Zentrums für Wissenschaft und Umwelt in Delhi ( CSE ), sagte mir, das Gerichtssystem sei zwar engagiert, aber nur deshalb, weil die Exekutive keine Initiative ergreift und es der Judikative überlässt, Verordnungen zu erlassen. Doch die allein sind nutzlos.
    »Die Judikative unterstützt die [Umwelt-]Bewegung und die Bewegung die Judikative«, sagte Seth in der Freiluftkantine des CSE . »Eine bahnbrechende Entscheidung wird getroffen … und was kommt dabei heraus?« Die Tatsache, dass sich die indische Regierung durch die Gerichtsurteile nicht bedroht oder verpflichtet fühlt, erleichtert es dem Gericht, sie zu treffen.
    Seth hatte mir den Kontakt zu R. C. Trivedi vermittelt, einem ehemaligen Ingenieur der Umweltaufsichtsbehörde. Er gesellte sich in der CSE -Kantine zu uns. Trivedi war ein kleiner, freundlicher Mann mit einer viereckigen Brille und einem kurzen, zerzausten Bart und wusste wahrscheinlich mehr über die Yamuna als irgendjemand sonst in diesem Land. Sogar nach einer dreißigjährigen Laufbahn versprühte er noch Begeisterung für die Details von Indiens Wasserversorgung und Abwassersystem. Beim Reden lächelte er.
    Es dauerte nicht lang und Trivedi skizzierte eine komplexe schematische Darstellung der Yamuna in mein Notizbuch, spulte Zahlen von biochemischem Sauerstoffbedarf und Strömungsgeschwindigkeit herunter und markierte die Flussabschnitte, vom immer noch intakten Lauf im Himalaya bis zu dem ausgetrockneten Fluss unterhalb von Hathnikund und dem Abschnitt in Delhi – »im Grunde genommen ein Klärteich«, sagte er – und schließlich dem »eutrophen« unteren Teil, wo die Nährstoffe aus sich zersetzendem Abwasser zu Algenblüte und Sauerstoffmangel führen. »Wir beobachten ein starkes Fischsterben«, sagte er und tippte auf die eben gezeichnete Karte. Das eutrophe Segment erstreckt sich über fast fünfhundert Kilometer, bis die Flüsse Chambal, Banas und Sind zufließen. Dort, so Trivedi, werde das Wasser »gut verdünnt. Danach ist die Yamuna recht

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