Willkommen im sonnigen Tschernobyl
Stattdessen kommen nur Fäkalien und Urin nach Braj. Deshalb startete Yatra vor zwei Wochen in Allahabad, wo die Yamuna einen Zusammenfluss mit Ganga hat. Wenn Yatra in einem Monat Neu Delhi erreicht, werden Millionen Menschen kommen und vor dem Premierminister protestieren.«
Fäkalien und Urin, kritzelte ich in mein Notizbuch. Millionen Menschen. Premierminister.
»Shri Ramesh Baba Ji Maharajs Programme sind nicht nur für Braj, nicht nur für Indien«, sagte Brahmini. »Sie sind für die ganze Welt.« Er hob mehrmals hervor, dass sie kein Geld von Leuten annahmen, die nach Maan Mandir kamen, und dass alle Gäste freie Mahlzeiten erhielten.
Der wichtigste Teil ihrer Arbeit sei das Singen der heiligen Namen Gottes, insbesondere der von Krishna und von Radha, Krishnas Geliebte und Gegenstück. Als er die Hügel von Braj durchstreifte, war Radha, das Hirtenmädchen schlechthin, Krishnas wahre Liebe – dass sie verheiratet war, spielte keine Rolle –, und ihre Beziehung war für diese Anhänger Krishnas so bedeutsam, dass sie die beiden meist in einem Atemzug erwähnten.
»Im heiligen Namen Gottes steckt große Macht«, sagte Brahmini. »Es ist wichtig, dass so viele Menschen wie möglich seinen Namen hören.« Die Gemeinde von Maan Mandir hat Megafone in kleinen Dörfern verteilt, damit die Gläubigen jeden Morgen im Dorf Hare-Krishna-Mantren rezitieren und so Gottes Namen verbreiten konnten. Das Programm wurde bislang in dreißigtausend Dörfern durchgeführt.
Ich trauerte einen Augenblick über Abermillionen stiller Morgenstunden in den Dörfern, die durch lautstarken Singsang ruiniert wurden. Doch Brahmini versicherte mir, das sei es wert. »Menschen und Tiere werden erlöst, wenn sie das hören«, meinte er. »Die gesamte Atmosphäre des Dorfes wird gereinigt.«
Doch heilige Namen konnten mehr, als das Dorfleben reinigen. Sie halfen der gesamten Umwelt, da ihr Aussprechen eine wichtige spirituelle Handlung war, um der von Wissenschaftlern vorhergesagten unumkehrbaren Zerstörung zu begegnen. »Nur indem man die heiligen Namen singt, können die Zukunft gesichert und Umweltprobleme gelöst werden«, erklärte Brahmini. »Krishna war auch ein großer Naturschützer, ja, das war er.«
Am Abend gingen wir zu einer Predigt von Shri Baba. Die Ansprache – oder vielleicht eher das Konzert – fand in einem zugigen Raum in einem der Gebäude unterhalb des Tempels statt. Ausschließlich Inder waren gekommen; Maan Mandir zog offensichtlich keine alternden Hippies oder Silicon-Valley-Aussteiger an. Shri Baba spazierte herein und setzte sich vorn auf ein niedriges Podest. Er war Ende siebzig, wirkte aber viel jünger. Er hatte tolle Haut, einen vollkommenen Glatzenschädel und blickte ausdruckslos unter seinen Schlupflidern hervor. Er predigte auf Hindi, seine Stimme war tief und klar. Zwischendurch machte er lange Kunstpausen. Während er sprach, dudelte er auf einem Keyboard, und hin und wieder trat die Musik in den Vordergrund, ein Trommler und ein Flötenspieler stimmten ein und Shri Baba wechselte übergangslos zum Gesang. Sein bestes Kunststück war, eine Melodie auf einer hohen, langen Note enden zu lassen. Das tat er ein- oder zweimal pro Lied und dann hoben alle im Raum die Arme und riefen. Eine ganze Horde von Gil Seriques. AAAGGHH!
*
Früh am nächsten Tag gingen wir zur Morgenpredigt in den Tempel. Brahmini, Mansi und ich stiegen die Treppen hinauf zwischen den Bäumen hindurch zum Bergkamm, auf einen unglaublich strahlenden Himmel zu. Vor dem Tempel führte Brahmini uns in einen kleinen Garten, in dessen Mitte die Statue einer blauhäutigen Frau stand: Es war Yamuna selbst, ein mildes Lächeln im Gesicht.
Der Tempel war älter und spartanischer als die Gebäude weiter unten. Der Steinboden war kalt unter den nackten Füßen und die unverglasten Fenster gaben den Blick auf die Landschaft frei. Mansi setzte sich zu den Frauen, Brahmini und ich gingen in einen Raum mit bröckeligen Wänden. Dort konnte er die Predigt, die im angrenzenden Raum stattfand, übersetzen, ohne die anderen zu stören. Er sprach seine Übersetzung in ein Diktiergerät. Später würde er die Audiodatei an einen Anhänger in Australien senden, der sie dann transkribierte und im Internet postete. So machten sie es jeden Tag.
Shri Baba saß wieder auf einem niedrigen Podest vor seinen Zuhörern und sprach zu ihnen. Brahmini lehnte sich zu mir herüber, damit ich ihn hören konnte, während er in das Diktiergerät
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