Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
Vom Netzwerk:
murmelte.
    »Die größte psychische Krankheit ist Bindung«, sagte er. »Zum Beispiel, wenn ein Mann an einer Frau hängt.«
    Ich richtete mich auf.
    »Dann sollte er nicht das Äußere sehen«, belehrte Shri Baba uns. »Sondern das Innere. Der Körper ist voller Knochen, Blut, Urin und Fäkalien. Er wird alt und stirbt.« Brahminis Übersetzung war rhythmisch und präzise. »Im Körper sind neun Löcher«, sagte er. »Aus ihnen kommt nur Dreck und Schmutz. Und denkt über die Fäkalien nach. «
    Das war Krishna zufolge der Schlüssel. »Wenn man die Fehler in diesem Ding, dem Körper sieht«, so Shri Baba, »wird die Bindung zerstört.«
    Ich beschloss, es einmal zu versuchen. Ich dachte an die Frau Doktor, an der ich immer noch ganz abscheulich hing. Ich dachte daran, dass sie voller Fäkalien und Urin war. Nur Fleisch und Knochen. Daran, wie sie altern und sterben würde. Ich sah sie in einem Krankenbett, alt und sterbend, voller Stuhl und Urin. Mitleid zerquetschte mir schier die Brust. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Es funktionierte nicht.
    Shri Baba sprach immer noch. Er wollte ein paar Dinge klarstellen über Fäkalien. Ich wage zu behaupten, er hing an diesem Thema. Zwölf Arten von Stuhl gebe es, sagte er, und klassifizierte sie, eine nach der anderen. Der Körper sei eine Kotfabrik und es sei Unsinn, etwas derart Schmutziges zu parfümieren und verschönern.
    Ich weiß, dass er nur den Sadhus helfen wollte, ihre Libido zu kontrollieren. Aber mal ganz im Ernst, warum war er derart auf Fäkalien fixiert? Ist unser Verdauungsapparat wirklich so schlecht? Und war die Yamuna nicht auch voller Fäkalien und Urin?
    Ich lehnte mich zurück und hörte nicht mehr richtig hin. Als Shri Baba zu einer Abhandlung der Lust überging, beobachtete ich zwei Tauben, die enthusiastisch auf einem Sims über dem Eingang Unzucht trieben. Eine dritte Taube kam hinzu, es folgten ein Kampf und dann noch etwas Taubensex. Sex und Kampf waren nur schwer zu unterscheiden.
    Die Predigt ging weiter, der sanfte, monotone Singsang von Shri Babas Worten und Brahminis Übersetzung wechselten sich ab. Benommen sah ich zu, wie eine Fliege auf meinem Unterarm landete. Ich beobachtete, wie ihr scheinbar nur aus Augen bestehender Kopf sich vor und zurück drehte. Dann senkte sie zögerlich den Rüssel und berührte meine Haut.
    *
    »Baba ruft dich«, sagte Brahmini und wir gingen hinein zur Audienz.
    Shri Baba saß – vollkommen ausdruckslos, vollkommen kahl im Schneidersitz auf einem kleinen Podium in einem länglichen, hellen Raum im oberen Stockwerk des Tempels. Wir legten unsere Hände aneinander und setzten uns ihm zu Füßen. Es war wie in einer der letzten Szenen von Apocalypse Now, als Martin Sheen Marlon Brando trifft, nur dass Shri Baba nicht so unheimlich aussah wie Colonel Kurtz, es Tag war und ich nicht dort war, um ihn zu töten. Dumpf klang von unten Trommeln und Gesang herauf.
    Er sprach Hindi mit uns. Ich hatte befürchtet, er werde uns erzählen, die Yamuna könne allein durch das Singen heiliger Namen »erlöst« werden, aber noch bevor Brahmini zu dolmetschen begann, hatte ich Shri Babas praktischen Verstand ausge macht. Mit meinen wenigen Brocken Hindi und den großzügi gen Anleihen dieser Sprache beim Englischen schnappte ich das Wesentliche auf. Yamuna. Achtzig Prozent. Wasser. Wazirabad. Zwanzig Prozent. Regierung unehrlich. Kein Bewusstsein.
    Brahmini übersetzte und ließ dann durchblicken, dass ich ein paar Fragen stellen solle.
    Ich sagte, ich verstünde, dass die Yamuna wegen ihrer Verbindung zu Krishna wichtig war. Aber was war mit Orten, mit denen Krishna nichts zu tun hatte? Mit dem Rest der Welt? Kümmerte Shri Baba sich nur um Braj?
    »Umwelt ist überall auf der Welt wichtig«, antwortete er. »Ohne nicht menschliches Leben gibt es kein menschliches Leben.«
    Eigentlich wollte Shri Baba jedoch über Korruption sprechen. Und er meinte das nicht im spirituellen Sinn der Verderbnis: Er sagte, Indien sei durch und durch korrupt, besonders, wenn es um die Umwelt ging. Der Oberste Gerichtshof hatte angeordnet, dass mit der Yamuna frisches Wasser nach Braj gelangen sollte, aber das wurde nicht umgesetzt. Das Ziel der Yatra war, darauf aufmerksam zu machen.
    »Nicht einmal ein Prozent des indischen Volkes denkt über die Sanierung der Yamuna und der Ganga nach«, sagte er. »Die Leute, die heilige Arbeit leisten, werden vernichtet.« Er sagte, im Kampf darum, die Berge vor dem Bergbau zu bewahren, sei ein

Weitere Kostenlose Bücher