Willkommen im sonnigen Tschernobyl
hatte er vorher zu viel damit zu tun, die heiligen Hügel und Tümpel von Braj zu schützen. Sie waren genauso gefährdet wie die Yamuna selbst, und Shri Baba hatte sich neben seiner erfolgreichen Tätigkeit als Guru in Maan Mandir auf lokalen Naturschutz spezialisiert: Teiche wieder in ihren alten Zustand versetzen, Wälder schützen, gegen illegalen Bergbau in den Hügeln kämpfen und Altersheime für Kühe errichten. (Gar nicht so lächerlich, wenn man bedenkt, dass Kühe dort heilig sind.)
Man könnte meinen, im ökologisch-spirituellen Rennen habe der Hinduismus durch die Verkörperung von Göttern und religiöser Geschichte in der Natur einen gewaltigen Vorsprung gegenüber dem Christentum. Trotz des heiligen Franz von Assisi steht im Weltbild des Christentums der Mensch im Mittelpunkt. Unsere Heiligen sind alle menschlich und leben in der menschlichen Sphäre, womit sich manche die ausbeuterische Haltung des Westens gegenüber der Umwelt erklären. Vielleicht wäre alles anders, wenn Gott Jesus einen Elefantenkopf verpasst hätte. Und wir Christen hätten es leichter, uns mit der übrigen Natur zu verbinden (und würden besser mit der Evolution zurechtkommen), wenn zur Dreifaltigkeit ein Affe gehörte. Doch leider haben wir weder einen Ganesha noch einen Hanuman.
Ja, schlimmer noch: Das Christentum hat jahrhundertelang die Vorstellung verbreitet, die Wildnis sei ein Hort des Bösen und nur dazu da, von uns beherrscht zu werden. Der Teufel steckte nicht im Detail, sondern im Wald. Aber das gilt nun natürlich nicht mehr. Jetzt lieben wir die Wälder, lieben die Natur, und sparen uns unsere Angst und Abscheu für die dreckigen, ausgebeuteten Orte auf – eben weil sie nicht mehr als natürlich gelten. Die ganze aufgestaute jüdisch-christliche Negativität musste sich wohl irgendein Ventil suchen.
Lange Zeit waren wir im Westen also semiotisch einge schränkt und hatten keine Chance, unsere Wälder zu verehren. (Sind Sie etwa Animist?) Abgesehen davon zählte die Welt der Wälder, Flüsse und Berge sowieso nicht. Wichtig war nur die Welt, die nach dieser kam, ein Königreich, das keinen Naturschutz brauchte.
Aber man sollte sich keine Illusionen über die Alternativen machen. Anscheinend findet die Menschheit immer einen Weg, die Umwelt zu zerstören, heilig oder nicht. Das Verrückte an der göttlichen Bedeutung, die, wie im Hinduismus, der irdischen Welt verliehen wird, ist, dass die Heiligkeit der Welt nicht zerstört wird, selbst wenn wir sie wie den letzten Dreck behandeln.
Vor Jahren, bei meinem Besuch in Kanpur, hatte ich beobachtet, wie Pilger Flaschen mit Gangeswasser nach Hause nahmen, um es als Heilwasser zu trinken – Heilwasser, das mit Abwasser und Schwermetallen versetzt war. Als ich einen Mann nach der Wasserqualität fragte, sagte er, er mache sich keine Sorgen. »Es kann keine Krankheiten verursachen«, meinte er. »Die Ganga ist Nektar. Und der kann nicht verunreinigt werden.«
Und weil ein heiliger Fluss eine solche reinigende Kraft hat, ist er der perfekte Empfänger für all den unreinen Abfall – Ab wasser, Leichen und so weiter –, der durch die bloße Berührung mit dem Wasser gereinigt wird. Der Zustand der indischen Flüsse ist also gar nicht paradox: Ihre Heiligkeit beschleunigt ihren Ruin.
*
Von dem hochgelegenen Maan Mandir aus hat man eine blendende Aussicht über die umliegende Tiefebene. Im Westen erheben sich die Hügel Rajasthans vor dem Horizont. Unser Presseansprechpartner, ein dürrer Sadhu namens Brahmini, führte uns durch den Tempel und die Gebäude, in denen wir übernachten würden. Er war freundlich, fast schüchtern und lispelte leicht, doch er trug in gutem Englisch einen detaillierten, endlosen Bericht über Shri Babas Arbeit vor.
»Shri Ramesh Baba Ji Maharaj ist der größte Heilige von Braj«, sagte Brahmini. »In 58 Jahren hat er Braj kein einziges Mal verlassen. Als er kam, gab es Räuber in Maan Mandir. Sie haben Shri Ramesh Baba Ji Maharaj Ärger gemacht. Sie bedrohten ihn und kamen mit zwölf Gewehren. Doch Shri Ramesh Baba Ji Maharaj wich nicht zurück. Er tut so viel Gutes für Indien, besonders für Braj. Braj hat so viele heilige Orte, aber sie befinden sich alle in einem Zustand enormer Zerstörung.«
Ich spitzte die Ohren, als die Sprache auf die Yamuna kam. »Die Yamuna ist auch in einem sehr schlechten Zustand«, klagte er. »Von Neu Delhi kommt kein frisches Wasser nach Braj. Es wird an der Staustufe von Wazirabad aufgehalten.
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