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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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Herz der Vereinigten Staaten bis zum Golf von Mexiko zu einem Haufen von Raffinerien in Port Arthur, Texas, laufen.
    Gegner der sogenannten Keystone- XL -Pipeline argumentieren, sie berge inakzeptable Umweltrisiken, ganz abgesehen vom Problem des schmutzigen, aus Ölsand gewonnenen Öls. In der unterirdischen Pipeline mit einem Durchmesser von etwa einem Meter würde verdünntes Bitumen durch ökologisch unschätzbare Regionen wie den Ogallala-Aquifer geleitet, aus dem fast ein Drittel des gesamten Grundwassers stammt, das in den USA zur Bewässerung verwendet wird und der ein wichtiges Trinkwasserreservoir ist. Diesen Grundwasserleiter zu gefährden, wäre ein zu hohes Risiko, so die Argumentation. Zudem ist fraglich, ob das Projekt überhaupt finanziell realisierbar ist.
    Pipeline-Unterstützer hingegen behaupten, Keystone XL sei sicher und man könnte die Menge des aus den Ölsandgebieten in die USA importierten Öls darüber verdoppeln.
    Was Keystone XL definitiv auszeichnet, ist ihr bestechender symbolischer Wert. Nach diesem zugegeben zweifelhaften Maßstab ist eine Pipeline, die Nord-Alberta und Port Arthur in Texas verbindet, fast zu gut, um sie sich entgehen zu lassen. Denn wenn Ölsand die Zukunft der Ölindustrie verkörpert, dann verkörpert Port Arthur ihre Vergangenheit, ja ihren Ursprung. Sollte Keystone XL also gebaut werden, würde sie eine physische Verbindung zwischen diesen beiden Polen darstellen, die Vergangenheit an die Zukunft koppeln und die Geschichte des Erdöls in einer hübschen Schleife zusammenfassen.
    *
    Alle hielten es für eine fixe Idee. Den meisten erschien die Vorstellung absurd, dass unter dem flachen Hügel namens Spindletop in der Nähe von Beaumont in Südosttexas Öl liegen sollte. Doch Patillo Higgins war nun schon seit fast einem Jahrzehnt von diesem Gedanken besessen. Der Geschäftsmann und Hobbygeologe hatte mehrere gescheiterte Versuche durch geführt, Öl unter dem Hügel zu finden, und gab immer noch nicht auf. Sein Unternehmergeist trieb ihn weit über das vernünftige Maß hinaus an. Jahr um Jahr suchte er nach Öl, ohne das geringste Anzeichen für eine Quelle. Er verfolgte sein Ziel mit einem Eifer, dem nur sein religiöser Dogmatismus gleichkam. Er trat sogar die Eigentumsrechte an seiner eigenen Gesellschaft ab, um neue Investoren anzulocken – und das alles in einem Zeitalter, in dem Öl nur als Lampenbrennstoff und Schmiermittel verwendet wurde. Als Businessplan war das ziemlich idiotisch.
    Am Morgen des 10. Januar 1901 befand sich Higgins nicht auf dem Spindletop; auch der Chef des beauftragten Bohrunternehmens, der ähnlich besessene kroatischstämmige Ingenieur Anthony Lucas, war nicht dort. Sie hatten keine Ahnung, was auf sie zukam. Auch die Bohrmannschaft wusste nicht, was es für Texas und die ganze Welt bedeuten sollte, als sie das Loch über 335 Meter in die Tiefe trieben. Sie hatten keinen blassen Schimmer, dass ihr Bohrloch bis zum Mittag mehr Öl hervorbringen würde als alle anderen im Land – zusammen.
    Es war der erste Blowout: die gewaltige Ölfontäne, die damals immer aus dem Boden schoss, wenn der Bohrer auf ein großes Öllager traf. (Sehen Sie sich There Will Be Blood an, dann wissen Sie, was ich meine). Heutzutage kann man das kontrollieren, aber eine Ölfontäne ist und bleibt ein amerikanischer Urmoment, der für unsere Wohlstandsfolklore ebenso zentral ist wie der Goldrausch und Börsengänge von Computer firmen.
    Von jenem Januarmorgen an sprudelte neun Tage lang Öl aus dem »Lucas No. 1« oder »Lucas-Gusher« genannten Bohrloch. Bis es schließlich unter Kontrolle gebracht wurde, ergoss es Millionen Liter Öl über die Erde. REINES ÖL SPRUDELT IN DIE HÖHE – GROßE AUFREGUNG IN DER STADT lautete die Schlagzeile des Daily Enterprise aus Beaumont am ersten Tag. Wie groß die Aufregung war, lässt sich an den Schlagzeilen der folgenden Woche ablesen:
    12. Januar: HEUTE VIELE ÖLSUCHER ANGEKOMMEN .
    14. Januar: FIEBERHAFTE STIMMUNG – ES GIBT GROSSE PLÄNE.
    15. Januar: IMMER NOCH GROSSE AUFREGUNG. ALLE WOLLEN LAND – PREISE STEIGEN INS UNERMESSLICHE.
    Ihren besten Treffer landeten die Texter mit der zugleich atemlosen und besonnenen Überschrift vom 16. Januar: IMMER NOCH SCHAREN VON NEUANKÖMMLINGEN! … ZAHLREICHE, JEDOCH UNBESTÄTIGTE GERÜCHTE ÜBER ENORME TRANSAKTIONEN.
    Innerhalb weniger Monate hatte sich die Einwohnerzahl von Beaumont verfünffacht, und das gut dreißig Kilometer entfernte verschlafene Port Arthur

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