Willkommen im sonnigen Tschernobyl
dieses schwarze, die Schuhsohlen unter den Füßen versengende Ödland mit seinen Phantombäumen und herumgeisternden Flammen den Wald vor Schlimmerem schützte. Hier, wo der Amazonas und einer seiner größten Nebenflüsse zusammenströmten, waren diejenigen, die den Regenwald vor der Zerstörung bewahrten, oft dieselben, die ihn abholzten oder brandrodeten.
*
Eigentlich war als Nächstes Indien an der Reihe. Die Hochzeits reise mit Frau Doktor. Doch Frau Doktor war zum Kai gekommen, als die Kaisei in San Diego anlegte, und hatte die Hochzeit abgeblasen. Vor mir hatte sich ein Abgrund aufgetan, der die ganze Welt verschlang. Es habe nichts mit mir zu tun, sagte sie. Trotzdem. Keine Hochzeit. Keine Ehe. Mein Leben verpuffte an einem einzigen Nachmittag.
Ich nahm es ziemlich schwer. Die Umwelt, zuvor ein Paradies an Problemen, verlor nun ihren Reiz. Sogar Klimawandel und Massenaussterben büßten neben dem immer größer werdenden Monument meines Kummers ihre Bedeutung ein. Doch Bücher müssen geschrieben werden. Wer würde das Evangelium eines Umweltverschmutzungstourismus verkünden, wenn ich aufgab? Indien musste allerdings vorerst warten. Stattdessen floh ich vor meiner eigenen Verzweiflung nach Brasilien.
Mein Freund Adam kam mit. Wobei, vielleicht sollte ich besser sagen, ich ging mit ihm. Vorgeblich reiste er mit mir nach Brasilien, damit wir einen Beitrag fürs Fernsehen drehen konnten. Wir hatten schon einmal zusammengearbeitet. Doch ich vermutete, im Gegensatz zu mir wollte Adam tatsächlich nach Brasilien reisen. Vielleicht dachte er auch, ich könnte ein wenig Unterstützung gebrauchen. Wäre ich mir selbst überlassen gewesen, hätte die Gefahr bestanden, dass ich die gesamte Zeit dort im Hotelzimmer unter dem Moskitonetz verbracht und brasilianisches Kabelfernsehen geglotzt hätte.
Freunde – immer versuchen sie, einen zu ermutigen und davon zu überzeugen, dass man liebenswert sei und nicht unfähig und zum Scheitern verurteilt. Warum können sie sich nicht einfach raushalten? Andrerseits konnte ich, wenn Adam dabei war, auf die detaillierte Hintergrundrecherche verzichten, die ich sowieso nicht gemacht hätte. Was sollte ich tun – das Amazonasgebiet mit einer Woche googeln knacken? Drauf geschissen.
Ursprünglich sollte es bei der Brasilienreise um Rindfleisch gehen. Rinderzucht ist seit Langem einer der Hauptgründe für den Kahlschlag des Amazonasregenwalds. Bestimmt gab es da irgendwo einen netten Viehzüchter, der uns einen exklusiven Einblick in den Weg vom jungfräulichen Regenwald zum Hamburger geben würde. Wie viele Steaks da auf uns warten würden!
Aber dann fanden wir das mit dem Soja heraus. Da ging es, nach allem, was wir (also Adam) lasen, richtig ab. Sojabauern machten breite Flächen Wald dem Erdboden gleich, damit sie ihr Produkt als Tierfutter nach Europa verkaufen konnten. Wir gaben die Idee mit den Rindviechern auf und wählten ersatzweise die Stadt Santarém als Ziel. Dort befindet sich das umstrittene Exportterminal des multinationalen Konzerns Cargill, von wo aus Sojabohnen aus Amazonas herausgebracht werden. Um Santarém herum konnten wir alles sehen: unberührten Dschungel, abgeholzten Dschungel, Sojafelder und das Terminal selbst, ein grausamer Dolch des Agrobusiness mitten im grünen, pochenden Herzen der Welt. So sah zumindest meine Wunschvorstellung aus.
Da ich die Recherche schon an Adam ausgelagert hatte, war ich für den Einsatz vor Ort zuständig. Ich schrieb einen Ablaufplan.
1. Flugticket kaufen ( WICHTIG ).
2. Nach Brasilien fliegen.
3. Das Flugzeug verlassen.
4. Den Flughafen verlassen.
5. Ein Taxi finden.
6. Den Taxifahrer bitten, uns zum Amazonasregenwald zu bringen, am liebsten dahin, wo es brennt.
Das war ein Plan, mit dem ich umgehen konnte, vor allem, weil Adam, als er sah, dass ich nicht die Absicht hatte, Nummer 1 zu erledigen, die Initiative ergriff und unsere Flugtickets kaufte. (Ich habe ihm das Geld immer noch nicht zurückgegeben.)
Als wollte er mich dafür bestrafen, kam er danach in mein Büro, trug einen grünen Sonnenschild, wedelte mit einem Stapel Papier und brachte mich auf den neuesten Stand. Die brasilianische Regierung hatte gerade rekordverdächtig niedrige Abholzungsraten für 2010 verkündet. Die niedrigsten, die es je gab.
Diese Schweinehunde. Ich war kurz davor, meinen Hintern nach Brasilien zu bewegen, um eine Abenteuerreise inklusive Eins-a-Regenwaldabholzungsorgie zu machen, und da taucht Präsident Lula auf und
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