Willkommen im sonnigen Tschernobyl
sagt mir, das Abholzungsproblem sei mehr oder weniger gelöst . Es war zum Kotzen. Seit wann das? Stand der Regenwaldkahlschlag nicht auf einer Stufe mit Tod und Steuern? Seit ich ein Kind war, hatte ich von der unerbittlichen Zerstörung der Regenwälder gehört, und nun sollte mir auch das noch genommen werden?
Aber das tat nichts zur Sache, wir hatten ja schon unsere Tickets. Und so begannen wir wie gewohnt mit den hektischen Reisevorbereitungen in letzter Minute: Plötzlich braucht man unbedingt magnetische, abhörsichere Socken, einen gepolten Hut und eine Million anderer kleiner Dinge, die einen davon überzeugen sollen, dass man tatsächlich auf Reisen gehen will.
Während Adam die letzten Abende vor dem Abflug damit verbrachte, Rodungsmuster und die brasilianische Umweltpolitik zu studieren, surfte ich, immer noch niedergeschlagen, ziellos im Internet und hoffte auf etwas, das meine Neugier weckte. Irgendwie stolperte ich dabei über die Anzeige für ein Grundstück in der Nähe von Santarém:
Zu verkaufen: 766 Hektar erstklassiges
Waldgebiet am Tapajós-Nationalpark
im brasilianischen Amazonasgebiet.
Regenwald zu verkaufen? Ich rief sofort an und hörte eine raue Stimme am anderen Ende der Leitung. Der Mann hieß Rick, lebte in Michigan und importierte hochwertige Amazonas hölzer.
»Ich besitze achthundert Hektar des meiner Meinung nach weltweit besten Regenwalds«, sagte er. »Ich habe viel Geld mit exotischem Bauholz verdient und das Gelände gekauft, weil … na ja, weil ich es konnte. Sonst wäre es mittlerweile eine Soja- oder Rinderfarm.«
Seitdem war jedoch die Wirtschaft eingebrochen und die Geschäfte liefen schlecht. Er musste die meisten seiner Mitarbeiter entlassen und nun konnte er sich auch den Regenwald nicht mehr leisten. Obwohl er sein Vermögen mit Holz gemacht hatte, wollte er einen Käufer finden, der den Wald nicht einfach nur rodete. In der Umgebung war bereits viel Land in Sojafelder verwandelt worden.
»Ich hatte vor, so viel Geld zu verdienen, dass ich mein Stück Wald dem Staat, einer Schule oder einer Non-Profit-Organisation schenken konnte«, erzählte Rick. Aber in den letzten Jahren sei es schon ein Kampf gewesen, es überhaupt zu behalten.
Ich erwähnte, dass ich in ein paar Tagen nach Santarém flog.
»Mann, ich wünschte, ich könnte mitkommen«, sagte er. »Ich hatte darüber nachgedacht, dorthin zu gehen, aber nun ist es wohl zu spät. Viel Spaß, es wird Ihnen da unten gefallen.«
*
Santarém ist eine lebendige Stadt mit einer Viertelmillion Einwohner. Sie liegt dort, wo der Amazonas und sein mächtiger Zufluss Tapajós sich treffen. Rick hatte recht – Santarém war wirklich nett. Ich war augenblicklich froh, dass Adam und ich uns entschieden hatten, nicht loszuziehen, um in gesetzlosen Enklaven im Landesinneren nach illegalen Holzfällern zu schnüffeln. Mit der Wahl des touristenfreundlichen Santarém haben wir die Kurskorrektur vielleicht etwas übertrieben, aber das war in Ordnung. Ich brauchte Urlaub und musste mich von der Kälte in New York und allem anderen erholen.
Vom Hotel aus machten wir uns auf die Suche nach Gil, unserem Guide und Übersetzer. Unterwegs sahen wir die Stelle, wo sich die beiden gewaltigen Flüsse trafen: auf unserer Seite der Tapajós mit seinem dunklen und trotzdem klaren Wasser, für das er bekannt ist, und auf der anderen, über drei Kilometer entfernt, das schlammige Wasser des Amazonas. Einen knappen Kilometer vor dem diesseitigen Ufer flossen die beiden zu einem mäandernden, kilometerweit sich hinziehenden Band zusammen.
Obwohl Gil uns wärmstens empfohlen worden war, sah ich unserer ersten Begegnung skeptisch entgegen. In den letzten Tagen hatte ich in unregelmäßigen Abständen E-Mails bekommen. Der Höhepunkt war eine schroffe Bitte um elektronische Geräte. »Bring mir einen iPod touch 4G 32GB mit«, schrieb er. »Meine Freundin ist schwanger, wenn du mir zwei mitbringst, nenne ich mein Kind nach dir.« Unser Guide hatte sich in einen moldawischen Internet-Vorschussbetrug verwandelt. Unsicher, wie ich mich verhalten sollte, kam ich ihm auf halbem Wege entgegen und kaufte einen einzigen iPod. Der befand sich nun in meinem Rucksack.
Gil lebte in einem alten, gelben Haus, nur wenige Schritte vom Wasser entfernt. Ein Surfbrett lag auf dem Bürgersteig vor dem Haus, dessen türähnliche Fenster offen standen und so eine kleine Terrasse mit Blick auf den Fluss bildeten. Ohrenbetäubende Rockmusik dröhnte aus dem
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