Willkommen im Wahnsinn: Roman (German Edition)
Bett gegangen?«
»Er muss nicht allein schlafen, er hat mich.« Zwischen meinen bebenden Fingern wird der Bierdeckel bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt.
Ich will nicht nur Dan überzeugen, sondern auch mich selbst.
»Okay.« Erbost späht er zum anderen Ende des Schankraums hinüber, wo der Bullterrier geräuschvoll die Möbel hin und her rückt, auf der Suche nach einem versteckten Leckerbissen. »Dann wünsche ich dir viel Glück, Lizzy.«
»Danke, dass du dich um mich kümmerst, Dan.« Ich versuche, seinen Blick auf mich zu lenken. Aber er ist auf den blöden Hund fixiert. »Ich weiß, du willst mir helfen.«
»Ja.« Er zerrt den Trenchcoat von der Lehne seines Stuhls und schaut auf seine Uhr. »Noch länger sollte ich dir deine kostbare Zeit nicht stehlen. Du möchtest zu deinem Freund fahren, nicht wahr? Lass den bloß nicht aus den Augen! Wer weiß, was er alles anstellt, wenn du nicht bei ihm bist...«
Bestürzt starre ich ihn an. »Das ist deiner nicht würdig, Dan«, sage ich leise.
»Nein?« Er steht auf. »Wahrscheinlich bin ich deiner auch nicht würdig – wo du doch einen weltberühmten Freund hast.«
Anklagend schaut er auf mich herab. Bevor ich antworten kann, taucht die Bardame zwischen uns auf und klatscht einen nassen grauen Lappen auf den Tisch. »Sind Sie fertig?« Sie hebt meine Bierflasche hoch und hält sie fünf Zentimeter vor mein Gesicht, als wollte sie damit auf
meinen Kopf schlagen. Aus ihren Händen tropft Schmutzwasser auf die Tischplatte.
»Ja, ich bin fertig.« Ich ziehe die Handtasche zwischen meinen Knien hervor und stehe auf.
Beide Flaschen in einer Hand, fegt sie die zerfledderten Bierdeckel mitsamt dem Lappen auf den Boden. Hastig zwänge ich mich an ihr vorbei, als der Bullterrier herübertrottet, um die Lage zu sondieren.
Dan wartet bei der Tür. »Bis dann«, sagt er kühl.
»Sei doch nicht so, Dan!«, bitte ich und zupfe an seinem Ärmel. Aber er reißt sich los.
Fünf Minuten später fahre ich in einem Taxi an ihm vorbei. Da stapft er den Gehweg entlang, die Hände in den Manteltaschen, den dunklen Kopf so tief gesenkt, dass ich sein Gesicht nicht sehe.
Warum können wir neuerdings nicht miteinander reden, ohne zu streiten? Das verstehe ich nicht. Mein verlässlicher Freund im Rugby-Trikot, die ruhige Präsenz hinter der Bühne während Lulus dramatischen Szenen, hat sich irgendwie nach vom gedrängt, ins Rampenlicht. Und ich bin nicht sicher, ob mir das gefällt. Dieser zornige Mann, so missbilligend und kritisch, ist nicht mehr der Dan, den ich zu kennen glaubte. Wären wir zwei ganz andere Menschen, würde ich vermuten, dass hinter der plötzlichen Verwandlung seiner Persönlichkeit irgendetwas stecken müsste.
Würde es in einem Film geschehen, wäre das der Moment, in dem es mir wie Schuppen von den Augen fällt. Hinter mir schnellen gleißende Fontänen empor, über meinem Kopf explodiert ein Feuerwerk. Plötzlich erkenne ich, warum Dan so sauer auf Randy ist – weil er mich so verzweifelt und leidenschaftlich liebt.
In diesem Film würde ich klagen: »Oh, wehe mir, denn ich fühle mich zwischen zwei Liebhabern hin und her gerissen. Welchem soll ich meine Gunst erweisen?« Aber das hier bin ich: Die vernünftige Lizzy Harrison, die keineswegs zwischen zwei Liebhabern hin- und hergerissen ist, und bloß einen scheinbaren Scheinfreund hat. Und das da ist Dan: Lulus Bruder, der mich länger als mein halbes Leben kennt. Abgesehen von jenem Kuss in der Küche, vor so vielen Jahren, hat er höchstens mal meine Hand gehalten oder einen Arm um meine Schulter gelegt. Falls er mich insgeheim liebt, hat er das über zwanzig Jahre lang verborgen. Und das erweckt kaum den Eindruck, dass er in wilder Leidenschaft entbrannt wäre, oder?
Vielleicht hat er sich in letzter Zeit ein bisschen in mich verknallt, das will ich nicht ausschließen, und das würde einiges erklären. Aber wenn mehr dahintersteckte, hätte Lulu mir das nicht längst erzählt? Sie war noch nie in der Lage, irgendetwas wahrzunehmen, ohne es in alle Welt hinauszuposaunen. Wenn sie auch nur den leisesten Verdacht hegte, Dan würde etwas für mich empfinden, dann würde ich doch endlose Monologe von ihr hören.
Jedenfalls lohnt es sich nicht, darüber nachzudenken. Selbst wenn Dan mich wirklich heiß und innig lieben würde – ich habe bereits einen Freund.
Oder nicht?
23
Aufgeregt stehe ich zwischen den Kulissen und beobachte, wie sich die Royal Festival Hall füllt. Unglaublich – wir
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