Willkommen im Wahnsinn: Roman (German Edition)
gar nicht weiß, was passiert ist. »Erst mal bleibst du eine Weile hier.« Ihren Sohn auf dem Arm, steht sie auf. »Wir gehen jetzt mit Graham spazieren. Und wenn wir zurückkommen, frühstücken wir alle miteinander. Einverstanden?«
»Ja«, schnüffle ich und wische meine Augen ab.
»Bye-bye!«, ruft Graham und winkt mir von der Tür her zu.
»Bye, Gray.« Ich winke zurück, dann sinke ich ins Kissen und schließe die Augen. Nur ein paar Sekunden lang liege ich reglos da, bis ich den prägnanten Duft von Nag-Champa-Weihrauch rieche.
Mum.
Als ich die Lider hebe, beugt sie sich über mein Bett, die Stirn besorgt gerunzelt, in einem Gewand, das anscheinend aus mehreren Schichten blauer und violetter
Stoffbahnen besteht – nicht aus deutlich erkennbaren Kleidungsstücken. Ihr graues Haar ist gnadenlos kurz geschnitten und liegt ziemlich eng am Kopf an. Glücklicherweise ähnelt sie damit eher Judi Dench als den kahl geschorenen Mönchen, bei denen sie in letzter Zeit gewohnt hat. Sie breitet die Arme aus, umschlingt mich und drückt mein Gesicht an ihre blauen und violetten Hüllen, die nach Räucherstäbchen duften.
Während sie mich wortlos festhält, spüre ich ihre langsamen, regelmäßigen Atemzüge. Offenbar vollführt sie irgendein spirituelles Ritual und versucht, mich mit der Kraft ihres Atems zu heilen. Ich glaube, ich muss dankbar sein, weil sie nicht »Ommm« singt oder mir positive Beteuerungen ins Ohr wispert. Ob die spezielle Aschram-Atemtechnik ihre magische Wirkung ausübt oder ob es einfach an Mums Anwesenheit nach diesen verrückten Monaten ohne sie liegt, weiß ich nicht. Jedenfalls fühle ich mich tatsächlich ein bisschen besser. Randy und der Savoy Street Club und Camilla und Jemima entfernen sich immer weiter von Bens und Jennys Sofabett und meiner Familie.
»Mum, ich...«
»Pst, Darling«, unterbricht sie mich und lässt mich los. »Alles zu seiner Zeit. Jetzt wirst du duschen, während wir spazieren gehen. Und beim Frühstück reden wir alle miteinander.« Sie küsst meine Stirn. Dann schwebt sie so lautlos aus dem Zimmer, als würden kleine Gleitrollen aus Gummi an den Sohlen ihrer komischen Teigtaschenschuhe kleben.
Nach einer Weile höre ich die vordere Tür ins Schloss fallen, tiefe Stille herrscht im Haus. Abgesehen vom Piepsen meines Handys. Klar, das hätte ich abschalten müssen.
Aber ich empfinde den perversen Wunsch, herauszufinden, ob Randy sich melden wird. Nicht dass eine der anderen von ihm gewesen wäre. Aus der Bahn hatte ich Camilla eine SMS geschickt, nur die harmlose Information, dass ich nach Hause fahren würde. Seither hat sie mir mehrere sorgenvolle Nachrichten gesimst. Ansonsten ist das Handy, seit ich den Club verlassen habe, provozierend stumm geblieben.
Jetzt stürze ich mich darauf und öffne die Nachricht. Sie kommt von einer Nummer, die ich nicht kenne.
Sorry, dass Sie es auf diese Art rausfinden. Hab versucht, Ihnen vorher alles zu erzählen. Sunday Reporter S. 4,5,6 + Interview S. 7 + Hot Slebs Hochzeiten Jazmeen.
Kann es noch schlimmer werden? Ich schalte das Handy aus. Ich will nicht wissen, wer sonst noch seinen Senf dazugibt.
Als meine Familie von ihrem Spaziergang zurückkehrt, habe ich geduscht und eine von Jennys Trainingshosen und ein langärmeliges Shirt vom British Trust for Conservation Volunteers angezogen. Zu den gelben Crocs, die vor der Zimmertür stehen, kann ich mich nicht durchringen. Noch immer fühle ich mich elend und glaube, ich werde keinen Bissen herunterbringen. Aber für die anderen decke ich den Küchentisch – Müslipackungen, Brot und mehrere Gläser mit Jennys hausgemachter Marmelade. Gerade als ich versuche eine Tasse Earl-Grey-Tee mit Milch hinunterzuwürgen, kommen sie alle zur Haustür herein. Graham legt eine Handvoll Blätter auf meinen Schoß, bevor er Mum ins Wohnzimmer und zum Fernseher zerrt.
Ganz vorsichtig nähert sich Ben dem Tisch und scheint
zu fürchten, dass ich jeden Moment in Tränen ausbrechen könnte. »Alles in Ordnung, Lizzy?«
»Los!«, ruft Jenny aus dem Flur herein. »Zeig’s ihr!«
»Eigentlich dachte ich, wir hätten beschlossen...« Ben dreht sich zu seiner Frau um und will sie zum Schweigen bringen. Aber ich habe den Sunday Reporter, der hinter seinem Rücken hervorragt, schon gesehen.
»Jazmeen Marie, nicht wahr?«, frage ich müde.
»Das ist es also, was letzte Nacht passiert ist?« Ben legt die Zeitung auf den Tisch.
»So genau weiß ich es nicht.« Ich greife nach der
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