Willkommen im Wahnsinn: Roman (German Edition)
den ersten Blick erscheinen mag.
In London ist es allgemein bekannt, dass man nicht einfach bei Freunden reinschneien darf, nicht einmal bei den allerbesten. Gemeinsame Abende müssen mit mindestens fünfzehn E-Mails hin und her vereinbart und verschiedene Termine diskutiert werden, und zwar spätestens drei Wochen vorher. Auch wenn man sich auf ein Datum geeinigt
hat, rechnet man sehr oft mit der kurzfristigen Absage einer Partei.
Wegen einer so sorgfältigen Planung gesellschaftlicher Events wird ein unerwartetes Klingeln an einer Londoner Tür ignoriert, nicht willkommen geheißen. Nur hoffnungslose Hinterwäldler oder unerwünschte Personen wie die Zeugen Jehovas oder Vertreter würden ohne Vorwarnung vor der Tür stehen.
Auf einen so frostigen Empfang war ich trotzdem nicht vorbereitet.
»Was machst du hier?«, fragt Dan, die Stirn gefurcht, als er nach meinem dritten Klingeln die Tür aufmacht. Sein Haar ist zerzauster denn je. Offenbar hat er es tagelang nicht gebürstet. Bartstoppeln überschatten sein Kinn.
»Hi, Dan.« Ich bemühe mich um ein Lächeln, das er nicht erwidert. »Ist – eh – Lulu da?«
»Nein«, entgegnet er und hält die Tür halb geschlossen.
»Okay – darf ich reinkommen und auf sie warten?« Ich wage einen Schritt in seine Richtung. Aber er rührt sich nicht. »Es regnet«, erkläre ich dummerweise, als wüsste er nicht, was Regen ist.
»Hör mal, im Moment ist es ungünstig«, sagt er und wirft einen Blick in den Flur.
»Tut mir leid, ich wusste nicht...«
»Was willst du überhaupt?«, unterbricht er mich unfreundlich.
»Nur – nur mit Lulu reden, Hallo sagen«, stammle ich unsicher. Ich hatte angenommen, dass Lulus und Dans Haustür für mich immer offen sein würde. Nun finde ich es geradezu unheimlich, davor zu stehen, weil mir der Zutritt verwehrt wird.
»So?«, fragt er spöttisch. »Willst du sie über deine neueste Scheinbeziehung informieren? Wer ist es diesmal? Tom Cruise?«
»O Dan, das ist unfair...«, beginne ich.
Plötzlich reißt er die Tür weiter auf. Krachend schlägt sie gegen die Wand. Im Flurlicht, das hinter ihm brennt, wirkt er unheimlich groß und einschüchternd, und seine Schultern kommen mir bedrohlich breit vor. »Unfair?«, zischt er. »Also ich würde sagen, es ist unfair von dir, deine Freunde zu hintergehen und Lügengeschichten über deine Beziehungen zu erzählen. Ausgerechnet du wagst es, über Fairness zu reden?«
»So wie du glaubst, ist es nicht«, protestiere ich, den Tränen nahe, die meine Stimme fast ersticken.
»Warum interessiert dich, was ich glaube?«, höhnt er. »Warum läufst du nicht mit deinen falschen Tränen zu deinen falschen Freunden? Was immer du sagst – ich kann es dir nicht mehr glauben.«
»Bitte, Dan.« Flehend strecke ich eine Hand aus. Aber er weicht einen Schritt in den Flur zurück und entfernt sich aus meiner Reichweite.
Da höre ich eine Frauenstimme, die im Wohnzimmer nach ihm ruft. Dan schaut wieder über seine Schulter. Dann wendet er sich zu mir. Mit schmalen Augen schaut er mich an. »Ich habe jetzt keine Zeit. Ich sage Lulu, dass du da warst.«
Ohne ein weiteres Wort wirft er mir die Tür vor der Nase zu.
Ich bin zu schockiert, um richtig zu weinen. Kann das der Dan sein, den ich kenne? Dieser große, wütende, Angst einflößende Mann ist mir ein Fremder. Mühsam ringe ich
nach Fassung, wische meine Augen ab und hoffe, dass das Wetter meine Tränen tarnen wird. Inzwischen regnet es viel stärker. Halb und halb hoffe ich, Dan würde seine Meinung ändern und die Tür wieder öffnen. Aber als ich die Netzvorhänge einer neugierigen Nachbarin zum zweiten Mal zucken sehe, trotte ich die Straße entlang, zur Bushaltestelle.
In Peckham angekommen, stecke ich den Schlüssel ins Schloss meiner Vordertür und höre einen Mann rufen: »Lizzy!«
Für eine Sekunde hüpft mein verräterisches Herz in den Hals. Dan? Randy?
Sobald ich mich umdrehe, werde ich von vier grellen Blitzlichtern geblendet, dann läuft jemand davon. Von dem beklemmenden Gefühl erfasst, ich wäre auf meiner eigenen Schwelle überfallen worden, breche ich in Tränen aus. Noch schlimmer erscheint mir die Erkenntnis, dass irgendein Paparazzo Randy und mich immer noch sensationell genug findet, um mir am regnerischen Abend eines Bankfeiertags vor meinem Apartmenthaus aufzulauern. Nein, diese Story ist keineswegs vorbei, sie hat eben erst begonnen.
Bedrückt schließe ich die Haustür hinter mir und wische mit dem
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