Willkommen in der Wirklichkeit
›Ersten Internationalen Tage des Science Fiction und Phantastic‹, Bergisch-Gladbach 1983; Originalbeitrag)
Michael Swanwick
Die Verwandlung des Philip K.
Philip K. lag in dem Grab, das sein ganzes Leben auf ihn gewartet hatte. Es war eine Hälfte eines Doppelgrabes, und in der anderen Hälfte lag seine Schwester begraben, die bei der Geburt gestorben war.
Sein ganzes Leben über hatte sie ihn mit der unheimlichen Geduld der Toten erwartet. Nun, als die letzte Schaufel Erde über seinen Sarg geworfen wurde, das letzte Gebet verhallte und der letzte Trauergast in die Stadt zurückgefahren war, war der Kreislauf abgeschlossen. Zwischen Bruder und Schwester wurde Energie ausgetauscht.
Endlich konnte es beginnen.
Rrrr-Summ-Klick.
Der Roboter kam die Straße entlang. Ein verchromtes Knie guckte regelmäßig aus dem ausgebeulten Burberry hervor und blitzte in der Sonne. Hell polierter Stahl leuchtete über den schlampig zugeschnürten Adidas-Schuhen. Sein Gesicht war ein glattes Oval, das nur von zwei Teleskop-Kamera-Linsen durchbrochen wurde, wo bei einem Menschen die Augen waren, und einem runden Lautsprechergitter als Mund. Er trug einen alten Hut mit herabgezogener Krempe, die tief über die Kameraaugen gezogen war, um möglichst viel vom Gesicht zu verbergen.
Aus seinem Wohnzimmer starrte Sandy Pankopf das sich nähernde Ding voller Schrecken an. Es nickte dem Milchmann zu, als es an ihm vorbeiging, und der Milchmann grinste zur Erwiderung und berührte seine Mütze. Das ist doch nicht möglich, dachte Pankopf. Nicht schon wieder. Nicht am fünften Tag hintereinander.
Der Roboter kam zu seinem Haus. Pankopf beobachtete ihn hinter den Vorhängen und fragte sich, ob die Maschine wußte, daß er zu Hause war. Sie hatte niemals Anlaß zu der Vermutung gegeben, daß sie es wußte. Aber wer konnte schon sagen, über welche Fähigkeiten sie verfügte. Infrarot- oder Ultraviolett-Detektoren. Röntgenblick.
Nun erhob sich Mrs. McMurtry, seine Nachbarin, von ihrem Blumenbeet, wischte sich Erde von den Händen und schickte sich an, das nächste Stiefmütterchen aus der Kiste neben ihr zu nehmen. Sie sah den Roboter und lächelte. Der Roboter wandte ihr das Gesicht zu und mußte etwas Nettes gesagt haben – niedergeduckt hinter den Vorhängen konnte Sandy es nicht verstehen – denn sie warf den Kopf zurück und lachte.
Nun hatte der Roboter den Weg zu seiner Haustür erreicht. Er blieb am Briefkasten stehen. Mit einer Metallhand, die die gleichen Glieder aufwies wie die eines Menschen, stöberte er darin herum. Er holte ein paar Briefe heraus, die Pankopf für den Postboten hineingelegt hatte, und untersuchte sie Stück um Stück, wobei er jeden Umschlag vor die Kameraaugen hielt und ihn lange und ausführlich betrachtete. Schließlich legte er alle Briefe bis auf einen wieder in den Briefkasten, schloß die Klappe und schob das rote Schild hoch, das dem Postboten signalisierte, daß er Briefe mitnehmen mußte.
Dann drehte er sich unter leisem Summen der Servomotoren um und ging davon, über den Bürgersteig schreitend, als gehöre ihm die Stadt.
Gerade bevor er um eine Ecke ging und fast nicht mehr zu sehen war, kam Pankopfs Hund, Spot, aus dem Hinterhof herbeigesprungen. Der Roboter blieb stehen, um der Promenadenmischung den Kopf zu tätscheln. Spot ließ die Zunge heraushängen und wedelte mit dem Schwanz.
Rrrr-Summ-Klick.
Der graue Nebel kam wieder hereingekrochen. Für den Anfang nur zwei oder drei kleine Fetzen, die durch die Türöffnung und unter der Fensterbank einsickerten, doch Dorff wußte, daß bald mehr kommen würde. So war es nun einmal.
»Ich habe Pankopf am Phon«, sagte Miss Goodbody.
»Danke.« Dorff nahm den Hörer ab und blickte auf den Bildschirm. »Pankopf, Sie Schmuck, warum sind Sie nicht bei der Arbeit?«
Auf dem Bildschirm sah Pankopf eindeutig grün aus. »Ich habe mich heute etwas verspätet, Boss. Ich wollte gerade zur Tür hinaus.«
»Hoffentlich stimmt das auch«, knurrte Dorff. »Ihr Job ist hier keineswegs sicher. Er hängt am seidenen Faden.« Er hängte auf, und der Bildschirm wurde dunkel. »Großer Gott. Haben Sie sein Telefon gesehen? Eins dieser Schwarzmarktdinger, ohne Knöpfe, einfach eine – wie nennt man sowas? – eine Wählscheibe.«
Mehr grauer Nebel wehte hinein. Manchmal schien sich das gesamte Büro damit aufzufüllen. Die Angestellten in den abgetrennten Büros degenerierten nun – er konnte sie durch die geöffnete Tür sehen, wie ihre
Weitere Kostenlose Bücher