Willkommen in der Wirklichkeit
Chemikalien für die Gentechnik, Nukleinsäuren und frischen Samenproben. Aus Flüssiggasbecken stieg Dampf auf. Die Gestalt zog an einem Regalbrett in einem hinteren Winkel des Raums und die verborgene Tür gab den Weg frei.
In dem Raum dahinter saßen einige Leute an einer Reihe von Computerterminals, einige andere diskutierten an einem runden, schwarzlackierten Konferenztisch. Gegenüber dem Eingang stand ein mit Büchern und Diskettenalben vollgestopftes Regal. Der Mann zog seinen Kältemantel aus und hängte ihn an die Garderobe.
»Na«, sagte er. »Wie war’s? Haben wir das nicht vorzüglich vorbereitet?« Er reichte Florenz gerade bis zu den Schultern und hatte schwarzes Haar und einen buschigen Schnurrbart.
»Ihr seid sehr tüchtig«, sagte Dieter Wesselheimer und legte seine Jacke ab. Florenz tat das gleiche. »Mit dem Glas, habt ihr das auch arrangiert?«
Der Mann grinste. »Selbstverständlich. Das hat alles mein Bruder aus einem Scherzartikelladen besorgt. Ich habe noch mehr Dinger auf Lager.«
»Die sind jedenfalls jetzt erstmal beschäftigt«, sagte Dieter und setzte sich an den Tisch. Er schüttelte den anderen mit einem wohlwollenden Lächeln die Hand. Florenz nahm neben ihm Platz. Der Mann, der sie hereingelassen hatte, ging zur Bar und holte ein paar Gläser. Auf dem Tisch standen zwei Flaschen Bier neben aufgeschlagenen Kladden, Notizblöcken und Computerausdrucken.
»Meinst du nicht, das war heute etwas riskant?« fragte Florenz.
»Ach was, sei nicht so defätistisch«, sagte Dieter. »Die beiden kriegen soviel vom Verfassungsschutz, um auch ja in unserer Gruppe zu bleiben, da können wir ruhig noch etwas abzapfen. Dafür sind sie ja da.«
»Was ist mit dem Rainer passiert?«
»Der ist heute nur knapp einer Verhaftung entronnen«, berichtete Dieter Wesselheimer. Rainer Hillmanns Freundin hatte die Morddrohung ernstgenommen und nach einigen Tagen, während sie jeden Moment damit rechnete, daß er in ihre Wohnung einbräche, sämtliche ihrer und seiner Freunde alarmiert. Dieter hatte gerade noch rechtzeitig davon erfahren, um an Werrings und Blasters Solidarität zu appellieren und sie zu bitten, Rainer aus seiner Wohnung zu holen, bevor das Schlimmste einträfe. Als Verfassungsschutzagenten waren sie die einzigen, die nicht befürchten mußten, der Polizei in die Arme zu laufen. Und sie hätten ihre Glaubwürdigkeit gefährdet gesehen, wären sie seiner Aufforderung nicht gefolgt. »Ich habe vorhin noch mit Blaster telefoniert«, sagte Dieter Wesselheimer, »und der erzählte mir, daß unser Freund Rainer nur auf dem Bett läge, stier zur Decke blickte, die Hände bewegte, als drücke er jemandem den Hals zu, und immer wieder flüsterte: ›Ich bringe sie um, ich bringe sie um‹, während sie ihn aus der Wohnung schleiften.«
»Und was ist dann passiert?«
»Na ja, fünf Minuten später sind der französische Söldner und der italienische Graf aufgekreuzt und haben aufeinander losgeballert. Der Graf ist über die Wupper gegangen, und den anderen hat die Polizei eingesackt.«
»Wir werden schon dafür sorgen, daß er aufgrund eines Computerfehlers nach Finnland abgeschoben wird«, bemerkte der kleine Bärtige. Darauf stieß die Runde an.
»Kommen wir zur Sache«, sagte Dieter Wesselheimer anschließend.
»Ja«, meinte Florenz. »Was habt ihr herausgefunden?«
Ein vielleicht zwanzig Jahre alter Bursche mit sorgfältig zurückgekämmtem Haar, mit Jeans und Wollpullover bekleidet, blätterte flüchtig die vor ihm ausgebreiteten Unterlagen durch. Er nippte kurz an seinem Glas, ehe er antwortete. »Wir haben leider nicht herausfinden können, wie das Virus in dein System gekommen ist. Die Übertragung erfolgte, wie du mir sagtest, um vier Uhr morgens, und um diese Zeit wird bei der Post selten ein Abhörprotokoll geführt, es sei denn, es handele sich um Verdächtige dritten Grades. Aber das ist gar nicht so wichtig. Es haben sich einige andere Dinge ereignet, die alle auf dieselbe Quelle hindeuten. Würde mich wundern, wenn du da rausfällst. Wie hieß dieser Kerl, ich meine, wie nannte er sich?«
»Horselover Fat«, sagte Florenz.
»Dann habe ich recht. Wißt ihr schon, daß die Stimme, die angeblich durch Rainers Radio sprach, sich mit dem selben Namen vorstellte?«
»Tatsächlich?« Dieter Wesselheimer hob überrascht die Augenbrauen.
»Aber das ist noch nicht alles. Gestern sind Jürgen und ich, bevor wir uns mit einigen Kumpels in unserer Stammkneipe treffen wollten, in dem
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