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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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waren wir zuletzt in der Kneipe?«
    »Gestern, um neun Uhr etwa.«
    Dieter Wesselheimer schlug die Hände vors Gesicht und sank über dem Videophontisch zusammen. »Das ist doch nicht möglich«, stöhnte er. »Dann habe ich ja alles verpaßt. Die Leute werden mich lynchen.«
    »Was ist los?« fragte Florenz.
    Dieter Wesselheimer richtete sich mühsam wieder auf. Er schüttelte entgeistert den kahlgeschorenen Kopf. »Das ist ja gespenstisch«, murmelte er. »Ich bin Sonntag für einige Tage zu meiner Freundin nach Rheinhausen gefahren. Als ich am Dienstag wieder hier war, habe ich dich gleich angerufen.«
    »Du irrst dich. Das war Mittwoch, gestern.«
    »Das ist einfach nicht möglich«, beharrte Dieter. »Du mußt dich geirrt haben.«
    »Moment«, sagte Florenz. Er ging ins Arbeitszimmer und ließ sich am PC die Titelseite des geheimen FNG-Mitteilungsblättchens ausdrucken, das er gegen zwei Uhr früh über den Akustikkoppler empfangen hatte. Er hielt es vors Videophon und deutete auf das Datum. »Wenn heute Mittwoch wäre, hätte ich wohl noch nicht die Donnerstags-Ausgabe erhalten.«
    Dieter Wesselheimer blickte betreten drein. »Das ist ja nicht zu fassen.« Plötzlich stutzte er und deutete mit dem Finger nach vorn. Auf seinem schnauzbärtigen Gesicht spiegelte sich Entsetzen. »Was steht da? Lies mir das mal vor.«
    »Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, es zu lesen«, sagte Florenz und drehte das Blatt um.
    Es begann mit den Zeilen:
     
    Liebe Freunde,
    es tut mir leid, Euch mitteilen zu müssen, daß wir einen herben Rückschlag erlitten haben. Die Geheimpolizei muß über die geplante Aktion im Ministerium für Zentrale Datenerfassung informiert gewesen sein. Jedenfalls wußte sie sofort, daß es sich bei den Leuten, die in der Kühlgasanlage der Dateiarchive zu tun hatten, nicht um die Wartungsklempner handelte …
     
    Florenz ließ das Blatt sinken.
    »Da wolltest du doch dabeisein«, sagte er.
    »Ja«, antwortete Dieter Wesselheimer. »Wenn ich den Tag nicht verloren hätte, wäre ich jetzt auch unterwegs in die Berge.«
    »Hör zu, was mir passiert ist«, sagte Florenz. Er schilderte in knappen Worten den Vorfall. »Soweit ich feststellen konnte, ist während der zweiten Übertragung heute früh ein Virusprogramm in mein System eingedrungen. Ich konnte gar nicht so schnell reagieren. Noch zwei Minuten, und es hätte sich bis ins Betriebssystem hineingefressen. Als dann diese Botschaft auf dem Bildschirm erschien, hörte es von allein auf.«
    Dieter Wesselheimer schürzte die Lippen und zog die Stirn kraus. In sein Gesicht gruben sich tiefe Sorgenfalten. »Das ist ja alles sehr merkwürdig«, sagte er. Plötzlich schien ihm noch etwas einzufallen. »Wie war das Letzte?«
    »Die Unterschrift? – Naja, so ein komischer englischer Name …«
    »Das ist einer der Burschen aus dem Buch von der Jane C. Dick, das ich übersetzt habe«, stellte Dieter fest.
    »THE EARTH’S DIURNAL COURSE, meinst du? Bist du dir sicher?« Florenz kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Irgend etwas stimmt da nicht. Ist vor ein paar Tagen nicht schon einmal so etwas vorgekommen?«
    »Na ja, nimm nicht alles so ernst, was der Rainer erzählt. Er ist dabei, vollends den Verstand zu verlieren. Am Sonntag hat er behauptet, jemand hätte durchs Radio zu ihm gesprochen und ihn darüber in Kenntnis gesetzt, daß seine Monika ein Verhältnis mit einem französischen Söldner und einem italienischen Grafen hat. Der Depp hat natürlich gleich bei ihr angerufen und ihr angedroht, er werde sie und die Typen bei nächster Gelegenheit umbringen.« Er straffte sich und rang die Hände. »Ich weiß noch nicht, was das alles zu bedeuten hat.«
    »Sehen wir uns morgen abend?«
    »Ja, selbstverständlich, mein Teurer. In der Zwischenzeit kann ich ja mal bei unserem Kumpel bei der Post anrufen. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit herauszufinden, woher das Virus gekommen ist.«
    »Alles klar«, sagte Florenz und legte auf.
    Er verließ die Küche. Im Studio, das zur Straße lag, setzte er sich in den gedimmten Lichtschein einer Spotleuchte, die vor der herabgezogenen Jalousie aufragte. In einem Halbkreis um ihn blinkten LEDs und Flüssigkristalldisplays an den Masterkeyboards, Synthesizer und Samplerexpandern, Digitaldelays, Reverbs und Tonbandgeräten. Aus den Lautsprechern drang leises Rauschen. Ein Kopfhörer baumelte von der Tischkante. Florenz schob einige Kästen mit Disketten beiseite, setzte die Ellbogen auf und ging noch einmal den

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