Willkommen in der Wirklichkeit
Schuppen daneben gewesen. Wir haben uns so mordsmäßig betrunken, daß der Jürgen auf einmal verschwand, ohne den Deckel zu bezahlen. Und ich hatte kein Geld dabei.«
»Das ist nicht wahr, Oliver«, verteidigte sich ein molliger, verstört dreinblickender Junge neben ihm.
»Dann erzähl, was tatsächlich passiert ist!«
»Ihr werdet mich für verrückt halten.«
»Spuck’s aus!« sagte Dieter Wesselheimer ungeduldig.
Jürgen rang verlegen die Hände, wand sich und wich den Blicken der anderen aus. »Vielleicht war ich wirklich nur voll. Jedenfalls habe ich, als ich auf dem Klo war, unter dem Deckel einen winzigen Piezoempfänger entdeckt, wie ihn die Bullen für die Instruktion ihrer agent provokateurs verwenden. Durch dieses Ding riet mir ein gewisser Horselover Fat dazu, sofort das Lokal zu verlassen, wenn ich nicht Opfer einer Razzia werden wollte. Ich hatte soviel Schiß, daß ich an Oliver gar nicht mehr gedacht habe.«
»Ich saß daraufhin natürlich fest«, berichtete Oliver. »Die Kellnerin war mächtig sauer. Wenn ich den Robert nicht angerufen hätte, der dann gekommen ist, um für mich zu bezahlen, hätte es übel ausgesehen.«
Der kleine Bärtige machte ein wohlwollendes Gesicht.
»Noch am selben Abend fand tatsächlich eine Razzia statt«, fuhr Oliver fort. »Allerdings nicht in der Kneipe, in der wir uns aufhielten, sondern dort, wo wir ursprünglich sein wollten.« Er stand auf und ging, während er weiterredete, mit einem Glas in der Hand gestikulierend in dem Büro auf und ab. »Vielleicht haben wir zu sehr darauf vertraut, daß niemand bemerkt, wie sehr wir unsere Agenten verarschen. Die Polizei scheint seit langem eine Aktion geplant zu haben, um die wichtigsten Leute unserer Gruppe unter Vorwänden in die Arbeitslager im Bergischen Land zu schaffen. Die Frage ist nur, wer greift zu solch ausgefallenen Methoden, um jeden einzelnen zu warnen?«
»Gibt es einen Hinweis?« fragte Florenz.
»Darauf wollte ich gerade kommen.« Oliver setzte sich wieder und trank mit einem hastigen Schluck sein Glas leer. »Der Trick mit dem Virus scheint eine bevorzugte Methode dieses Horselover Fat zu sein. Einer unserer Freunde ist auf diese Weise vor dem Scheidungsanwalt gewarnt worden, den ihm seine ehemalige Frau der Alimente wegen auf den Hals gehetzt hat. Auf dem Wochenblättchen der Akustikkoppler-PornoPress erschien plötzlich ein Bild seiner Alten und dazu eine Sprechblase, worin stand: ›Heute ging’s dir an die Eier, mein Süßer. Wenn du Horselover Fat nicht hättest …‹« Er lachte gepreßt. »Der Bursche hat Humor. Und in diesem Fall erfolgte die Übertragung um neun Uhr morgens. Aus dem Abhörprotokoll, das ich mir ausdrucken ließ und aus der Post schmuggeln konnte, geht hervor, daß sich ein Teilnehmer in Wuppertal in die Verbindung eingeschaltet hatte. Ich habe die Leitung zurückverfolgt und der Name des Teilnehmers ist …«
»Winfried Schlicht!« rief Dieter Wesselheimer und schlug die Hände ineinander. »Zum Henker, darauf hätte ich gleich kommen können.«
»Du kennst ihn?« fragte Oliver.
»Sicher«, sagte Wesselheimer. »Ich habe in seinem Auftrag THE EARTH’S DIURNAL COURSE von Jane C. Dick übersetzt. Aber das ist schon eine Weile her.«
»Diesen Underground-Bestseller?«
»Ob es ein Bestseller ist, weiß ich nicht. Jedenfalls habe ich gut daran verdient und Schlicht auch.« Er stand auf. »Wallmond, raff dich auf, wir fahren heute abend noch hin.« Er trat an die Computerkonsole, wo ein Kollege in sich versunken am Monitor arbeitete. »Kannst du uns eine Ausgehbescheinigung für diese Nacht ausdrucken lassen?«
Der Mann blickte verwirrt auf. »Was?«
»Mein teurer Kollege Wallmond und ich brauchen eine polizeiliche Genehmigung, Düsseldorf heute abend zu verlassen. Oder beanspruchen wir dich damit etwa zu sehr?«
»Wenn’s sein muß.« Der Mann ging zu einem Schrank im rückwärtigen Teil des Büros und sah die darin aufgestapelten Papierstöße durch. »Befristet oder was?« fragte er.
»Sagen wir bis morgen früh um acht«, sagte Dieter Wesselheimer. »Man soll’s nicht übertreiben.«
»Weiß du auch, was du tust?« fragte Oliver. In seinem Gesicht zeigte sich einige Besorgnis.
»Mach dir nicht in die Hose. Ich wette jede Summe darauf, daß dieser Bursche lupenrein ist. Er arbeitet seit Jahren in der Wuppertaler Szene. Der Verfassungsschutz kann sich derart intelligente Leute gar nicht leisten. Außerdem sind diese Halunken viel zu vertrottelt, um uns
Weitere Kostenlose Bücher