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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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Hüften. Eine kleine, zierliche Frau. Ihr schönes Haar und die bleichen, durchscheinenden Augen paßten zu ihrer beinahe durchsichtigen Haut. Er hatte den Eindruck, unter der dünnen Schicht Fleisch beinahe die filigrane Knochenstruktur sehen zu können.
    »Ein Unfall auf der Abschußrampe«, sagte Zoya. »Meine Psyche scheint durch mein biomedizinisches Überwachungssystem geflohen zu sein. Im einen Augenblick war ich noch in der Kapsel, im nächsten fand ich mich in einer Schaltkonsole in einer Kontrollstation wieder. Dann bin ich hierher gekommen – na ja, wie, das muß ich Ihnen ja wohl kaum erzählen. Wahrscheinlich so ziemlich auf die gleiche Art wie Sie.«
    Phil nickte. »Ja.«
    Er streckte zögernd die Hand aus.
    Sie lächelte und griff mit ihrer Hand nach der seinen. Ihre Finger waren lang und schmal. Doch als sich ihre Hände berührten, erkannte er, daß diese schlanke, zerbrechlich wirkende Frau stark war. Sie hatte die Hände einer Pianistin oder Violinistin. Er konnte beinahe hören, wie sie eine Komposition von Medtner oder Kukalski spielte, eins von Medtners Klavierkonzerten in C-Moll, oder Kukalski »Tanz der Amazonen«.
    »Was sollen wir tun?« fragte er.
    »Wir können gar nichts tun, nicht wahr?«
    Er nickte. »Das scheint der Sache den ganzen Reiz zu nehmen. Ist das nicht komisch?«
    »Ja.«
    »Zoya, ich möchte nicht, daß Sie Sicherheitsbestimmungen verletzen. Ich möchte nicht, daß Sie Probleme mit Ihrem Land bekommen.«
    Sie lachte. »Sie glauben, daß der KGB bis in diese Welt hineinreicht? Das schafft nicht einmal er. Obwohl ich annehme, daß es hier ein paar von ihnen geben muß. Aber was könnten sie mir hier antun?«
    »Nun, ich hatte folgendes im Sinn.« Phil legte vier Finger auf die eine und den Daumen auf die andere Seite seines Kinns. Er trug einen kurzen, fast ergrauten Bart. Er zerrte daran, und ein neugieriger, verkniffener Ausdruck legte sich um seinen Mund. »Äh, ich habe mich gefragt, Zoya, ob Sie über die geplanten Starts im sowjetischen Raumfahrtprogramm Bescheid wissen.«
    »Das kann jeder herausfinden. Jeder von – uns. Man muß nur in die telemetrischen Verbundnetze eindringen, in die Computerbänke, und herausfinden, was sie vorhaben.«
    »Gottchen, daran hätte ich niemals gedacht.«
    »Wie lange sind Sie schon tot?«
    »Ich bin mir nicht sicher. Erst seit kurzem, glaube ich.«
    »Man braucht eine Weile, um sich daran zu gewöhnen. Ich habe es auch noch nicht ganz begriffen.«
    »Nun, wissen Sie es zufällig aus dem Stegreif?«
    »Allerdings. Es soll bald eine neue Raumstation hochgeschossen werden. Warum? Würden Sie sie gern besuchen? Es könnte ganz lehrreich sein. Ich frage mich, ob wir Nachrichten auf die andere Seite schicken können. Es gibt jetzt so viele von uns. Und es werden immer mehr. Ich frage mich, ob ich meinen früheren Geliebten anrufen kann.«
    »Was würden Sie ihm sagen?«
    »Eine gute Frage. Keine Ahnung.«
    »Ich habe Geschichten von Leuten gehört, die Mitteilungen von Toten bekommen haben.«
    »Sie meinen die alten spiritistischen Scharlatane?«
    »Tischklopfer und Ektoplasmaspucker?«
    »Ja.«
    »Nein. Die sind mit Houdini verschwunden. Nein, ich meine Leute, die von Toten angerufen wurden.«
    »Das gibt es auch in Rußland. Es hieß, Stalins Leiche sei auf direkten Befehl von Lenin aus dem Mausoleum entfernt worden.«
    »Ist das möglich?«
    »Kaum. Lenin ist zu früh gestorben. Vielleicht hat sich Stalin als Lenin ausgegeben. Das würde ich ihm zutrauen.«
    »Huh!«
    Phil blickte hinab. Er konnte durch die metallene Hülle des Satelliten sehen. Tausende Kilometer unter ihnen drehte sich die Erde, bewegte sich mit ihrer wimmelnden Milliardenbevölkerung langsam vom Tageslicht in die Nacht, von der Nacht wieder in den Tag.
    »Zoya, ist Ihnen da … da unten etwas wichtig?«
    »Was meinen Sie?«
    »Ich … nun, es gibt etwas, das ich noch tun wollte, bevor … Man verfilmt gerade ein Buch von mir, Träumen Roboter von elektrischen Schafen?«
    »Ich habe die deutsche Übersetzung gelesen.«
    »Ach ja? Nun, ich will irgendwie zu den Schauspielern durchkommen, zu den Leuten, die Rachael Rosen spielen, den Nexus-6-Androiden, und Rick Deckard, den Androidenjäger. Auf jeden Fall …« Er hielt inne.
    »Ja, Philip?« sagte Zoya.
    Er schüttelte den Kopf. »Nun, irgendwie spielt das jetzt alles keine Rolle mehr. Ich habe gerade dort hinabgeschaut und diese Milliarden von Menschen gesehen, und es spielt einfach keine Rolle mehr. Und ich wollte mit

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