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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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›Hindenburg‹.«
    »Nein.« Gernsback senkt das Fernglas, schüttelt den Kopf. »Diese Schweine wissen offenbar noch nicht, daß es mir dank meiner ausgezeichneten Kontakte zu nordamerikanischen Industriellen – trotz des Widerstands der Washingtoner Regierung – gelungen ist, für die Deutsche Luftschiff-Reederei Helium zu importieren.« Er lächelt grimmig. »Selbstverständlich können sie uns Löcher in die Hülle und die Gaszellen schießen, aber wir sind mit neuartigen, automatischen Abdichtungs- und Brandunterdrückungs-Vorrichtungen ausgestattet.« In Abständen von exakt 3 Sekunden loht immer wieder das Rubinrot von Laser-Strahlen. »Aber das wird uns nichts anhaben.« Geruch nach Schwelbrand und Chemikalien weht durch den Wandelgang, nochmals gellt eine Signalpfeife. »Der Überfall gilt Ihnen, Dick. Die PIF will nicht, daß Sie für uns arbeiten. Ein neuer Beweis für die Wichtigkeit, die sie Ihnen beimißt.«
    »Ich möchte auch gar nicht für Sie arbeiten, egal was Sie darunter verstehen.« Indem er eine Faust in die Hüfte stemmt, mit der anderen Hand Halt am Geländer bewahrt, kehrt er sich Gernsback zu. »Mich in dieser Welt umschauen, das möchte ich, wenn überhaupt irgend was … Ich denke nicht daran, mich von Ihnen für irgendwelche dubiosen Ziele mißbrauchen zu lassen.«
    »So naiv können Sie doch nicht sein, Dick.« H.G. gibt dem bärtigen Luftschiffer das Zeiss-Fernglas zurück, hakt einen Daumen ins Täschchen seiner mausgrauen Weste. »Glauben Sie, Sie dürften fortan einfach so in diesem Kontinuum herumlaufen und womöglich den größten Blödsinn anstellen? Tun Sie nicht so, als hätten Sie noch nie von Zeit-Paradoxa gehört. Außerdem würde die PIF Sie auf alle Fälle liquidieren. Mit Ihrer Reinkarnation haben Sie eine zweite Chance erhalten. Sowohl bei der PIF wie bei uns ist es üblich, daß wir niemandem, der sich undankbar zeigt, diese Chance belassen.« Auch Kürten wundert sich über die Einfalt des Amerikaners, überlegt sich, ob wohl die Weltfremdheit der Dichter die Ursache sein könnte, während er sich unbewußt, indem die Flugscheibe näherschwebt, zusehends das Blickfeld beherrscht, immer tiefer duckt. Wahrhaftig, hätte er eine Wahl, er würde ebensowenig irgend jemandes Drecksarbeit erledigen. Doch der Lohn relativer Unsterblichkeit, garantierter Reanimation, solange er im Dienst der ZIR steht, ist einerseits zwar ein Joch, andererseits allerdings eine schier unwiderstehliche Verlockung.
    Ähnliches muß in diesem Moment Dick durch den Kopf gehen, während die Maschinengewehre des LZ 135 ballern, Laser-Strahlen von Viertelsekundendauer die Hülle des Luftschiffs perforieren, ohne daß ernstere Schäden entstehen (aber auch das MG-Feuer bleibt auf die Flugscheibe ohne erkennbare Wirkung). Sein Blick wird aggressiv, er zieht die Mundwinkel herab. »Damit mußte ich wohl rechnen. Wer wollte in meiner jetzigen Lage noch ’n Rückzieher machen? So wird man fürs Leben um jeden Preis zum Feigling. ›Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen, wenn wir den Drang des Irdischen abgeschüttelt, das zwingt uns stillzustehn. Das ist die Rücksicht, die Elend läßt zu hohen Jahren kommen …‹ Ach, wie wahr, Gernsback, wie wahr, und wie jämmerlich.«
    Aus der ZIR-Zentrale auf der Venus schwirren Kürten per quasi-psionischem Relais paranormale Impulse zu, er spürt ein Pulsen, das intrapsychische Zufließen von Informationen, jedoch aufgrund irgendwelcher Verhältnisse werden die Schwingungen gestört, als überlagere Statik sie, eine noch nie dagewesene Erscheinung, und der Dezikrat zieht daraus die Schlußfolgerung, daß hier etwas oberfaul ist, und völlig zurecht, wie sich alsbald erweisen soll.
    Die Flugscheibe erreicht LZ 135, schwärzt die Aussicht, den Nachthimmel, als ergösse sich der Inhalt eines Tintenfasses mit den Ausmaßen eines Wolkenkratzers über das Luftschiff, sie braust dicht über es hinweg, der Sog drängt wie eine Sturmbö den Zeppelin seitwärts, er schaukelt am Ankermast IV, im Salon hinterm Wandelgang rutschen Stühle und Tische an die Wand, Vasen und Schalen zerklirren, ein Ruck wirft Kürten gegen das Geländer und Dick gegen Kürten, Gernsback klammert sich an den Vorhang, der den Wandelgang von den Innenräumen des Decks abteilt. Der Luftschiffer mit dem Vollbart torkelt am Geländer entlang, er verliert die Schirmmütze, und als Kriminalkommissar Kürten seine Stirnglatze sieht, die bläßlich schimmert wie ein schimmliges Ei, da weiß er,

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