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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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an Bereitschaft, sich damit abzufinden.
    »Offensichtlich sind Sie noch stärker überschätzt worden, als ich gedacht habe.« Zentikrat Gernsback richtet einen Mittelfinger wie eine Schußwaffe auf Dick. »Hier sind Sie schon als Säugling gestorben, ’n Vierteljahr nach Ihrer Geburt.«
    »Zusammen mit meinem Schwesterchen?«
    »Nein. Ihre Schwester lebt – beziehungsweise das Alter ego Ihrer Schwester.« Gespannt beobachtet Gernsback alle Reaktionen Dicks. »Sie ist mit einem Briten verheiratet, einem britischen Offizier, und lebt in England.«
    »Dann muß ich zu ihr. Ich will sie kennenlernen.« Aufgeregt stemmt sich Dick halb aus dem Lehnstuhl hoch. Mit dem Hinweis auf seine Zwillingsschwester hat H.G. ihm einen Beweggrund geliefert – einen richtiggehenden Köder –, um an die Voraussetzungen der befremdlichen postmortalen Umstände zu glauben.
    Unverblümt lacht der Zentikrat ihn aus, und auch Kommissar Kürten verzieht unwillkürlich die Mundwinkel. Was der sich so denkt, sinnt Kürten, er ahnt noch gar nicht, daß er künftig nach unserer Pfeife tanzen muß, sonst werden wir ihm die Flötentöne beibringen.
    »Also wirklich, Sie sind übergeschnappt, Dick. Was haben Sie denn vor. Wollen Sie sie besuchen und zu ihr sagen: Ich bin dein Bruder Philip aus der Parallelwelt XY, du wirst im Februar neunzehnhundertneunundsiebzig durch eine Bombe der IRA mitsamt deinem Gatten in die Luft gesprengt? Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst.«
    Dick starrt ihn an, seine Haltung erschlafft, langsam sinkt er zurück in die Polsterung des Lehnstuhls, sein Gesicht wird schwammig, wirkt plötzlich verfallen wie ein altes Gemäuer. Das Schweigen im Zimmer gleicht einem Temperatursturz. Kürtens Atem stockt, seine Rechte gleitet in die Jackentasche, umfaßt den Griff des Schockotrons. H.G. ist abgefeimt genug, um Dicks Blick standzuhalten. Man hört das Ticken der Tischuhr.
    Dick geht nicht auf die Gemeinheit ein, die H.G. an ihm verübt hat, Kürten hat es immer gewußt: Frechheit siegt. »Und was ist Ihr Ernst?« fragt Dick, die Miene kalkig-fahl wie ausgelaugte Erde.
    »Daß Sie mir nun noch weitaus besser als bisher zuhören werden. Es verhält sich folgendermaßen: Agenten einer kriminellen Vereinigung, die sich Patronage Interdimensionaler Fluktuationsoptimalisatoren nennt, einer Bande von Halunken, die das Ziel hat, die Errungenschaften aller Parallelwelten in ihrem Herkunfts-Universum zu konzentrieren – so daß die anderen Raum-Zeit-Stränge durch Entfaltungsverhinderung verarmen und verkümmern müßten –, hat Sie nach Ihrem Tod verschleppt, zeitverschoben in das hiesige RZ-Kontinuum transferiert und einem Reinkarnations-Prozeß unterzogen, um Sie für ihre abscheulichen Zwecke zu rekrutieren. Wir haben Sie aus den Klauen Ihrer Entführer befreit. Die Zweite Intertemporale Reglementorenorganisation ist der entschiedenste Gegner der PIF, die ihre Operationen vom Mars aus steuert, während unsere Zentrale sich auf der Venus befindet.« Nach und nach spricht Gernsback immer hochtrabender, neigt zum Gehabe eines Predigers. Mit den Armen vollführt er Gebärden wie ein Dirigent. »Die ZIR versucht durch die Regulierung historischer Tendenzen sowie die Korrektur weltgeschichtlicher Knotenpunkte die Auswüchse der menschlichen Entwicklung zu eliminieren – sie gewissermaßen zu begradigen –, um sie zum Wohl aller Menschen zu harmonisieren.«
    »Ich hatte mal Tagträume in bezug auf diese Planeten«, sagte Kürten gedämpft dazwischen. Er würde sich gern an die Wand lehnen, traut sich aber nicht. Im Zuchthaus hat man für so etwas Prügelstrafen verhängt. »Mit einem atomaren Weltraum-Zeppelin bin ich zum Mars geflogen, er war bevölkert mit nackten, rosigen, unbehaarten Menschenwesen von ’m Dreiviertelmeter Größe, und weil ich ein paar mitnehmen wollte zur Erde …«
    »Sie sind mitten in ein mörderisches Ringen um die Zukunft der Menschheit und den Sieg des Fortschritts hineingezogen worden, Dick«, sagt Gernsback, schaut Kürten nur flüchtig, obwohl äußerst ungnädig an, achtet jedoch nicht weiter auf sein Gemurmel. »Dieser Kampf wird gleichzeitig in mehreren Raum-Zeit-Kontinuen und innerhalb derselben auf verschiedenen Zeitebenen ausgetragen.«
    »… dadurch kam es zum Aufruhr«, nuschelt Kürten. »Mit einem großen Schwert habe ich ein gewaltiges Blutbad angerichtet, Hunderttausende abgeschlachtet …«
    »Das kann nicht wahr sein«, flüstert Dick, krümmt sich, als müßte er die Prügel erdulden, die

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