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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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und Gußeisen erbauten Pavillon. Schon von weitem erkennt er die Schlagzeilen. Er kauft ein Exemplar des Wilhelmshavener Morgen-Kuriers und eine Nobel. »Haben Sie ’n Mann mit Veilchen gesehen?« fragt er die Händlerin, ein Weibsbild, das so verquollen aussieht wie die Morgenfrühe. Unter dem Kleid der Frau zeichnen sich Korsett-Wülste wie die Haupt- und Hilfsringe eines Luftschiff-Gerippes aus Duralumin ab.
    »Bioomen kannscha begäng einholn aufm Maakt.«
    Kürten schnaubt, schnieft und beginnt die Reportage über das nächtliche Vorkommnis zu lesen.
     
    LUFT-GEFECHT ÜBER WILHELMSHAVEN
    Augenzeugen: »Wie im Weltkrieg«
    Riesenhafte Detonation
     
    Wilhelmshaven, d. 5. Juni 1929 – Eig. Ber.
     
    Am gestrigen Tage ereignete sich gegen 23 Uhr 56 nach einem vorangegangenen Luft-Kampfe über unserer Vaterstadt eine schwere Explosion, welchselbige in den Vierteln am nördlichen Stadtrand zahlreiche Fensterscheiben zerschmetterte. Das Furcht erregende Ereignis fand im Umkreis des Luftschiff-Hafens statt. Hierzu verlautbarte der Vorstandssprecher der Dt. Luftschiff-Reederei, das famose Finanzgenie Herr Hugo Gernsback, ein fremdländischer Terror-Flieger habe ein Attentat auf das Flaggschiff der Luftschiff-Reederei, den LZ 135 ›Kapitänleutnant Heinrich Mathy‹, zu verüben versucht, sei aber von den Wachmannschaften des Luftschiff-Hafens durch Abwehr-Beschuß in der Luft zerstört worden. Die Gewalt der Explosion sei durch eine außerordentliche Sprengstoff-Zuladung erklärlich. Herr H. Gernsback äußerte den Verdacht, man habe es mit einem Selbstmord-Flieger der irischen Nationalisten-Bewegung Sinn Fein zu tun gehabt. Dieselbe hätte wegen an Großbritannien verkaufter Konstruktions-Pläne für moderne Zeppeline Rache geschworen.
    Die Niedersächsische Sicherheits-Staatskanzlei (NiedSiSt.) hat die Ermittlungen aufgenommen und eine gründliche Untersuchung angekündigt. Aus Hannover ist Herr Kriminalrat Friedrich Haarmann mit einer Anzahl von Experten noch in der Nacht angereist, um
     
    »Mongdiblö«, sagt das Weib zu Kürten, »so ’n Schandal miteins mittenmang inne Nacht. Dascha doll is dascha, sach man. Was ’n nich allens belebt … Gottchen, ischa reineweg mistriös, nich?«
    Dezikrat Kürten faltet die Zeitung zusammen, um sie nachher in Ruhe weiterzulesen. »Was brauchen Sie zu fragen?« murrt er, genau wie damals, in der Anderzeit, als man ihn nach seiner Verhaftung Frl. Gertrud Schulte gegenüberstellte.
    Lahm und mißvergnügt schlurft er zur Straßenecke, zündet sich die Zigarre an.
     
    Copyright © 1990 by Horst Pukallus

 
Gero A. Reimann
Vom Sterben und Leben eines gott- und weltlosen Gnostikers
     
I
     
    Ich bin aus Wasser gemacht, dachte er, und dieser Gedanke füllte ihn einen längeren Zeitraum hindurch aus.
    Er wagte es nicht, sich zu bewegen, aus Furcht, er könne auslaufen wie eine lecke Teekanne und im Boden versinken. Er spürte, wie der Gedanke, daß er aus Wasser bestünde, durch seinen Körper rann, wie er sich immer mehr verdünnte, bis er sich auflösen wollte, und er, der er unbeweglich dalag, nicht mehr wußte, woraus er wirklich bestand. Nicht mehr wußte, wo er sich befand, was mit ihm geschah.
    Äonen breiteten sich um ihn aus und hüllten ihn ein. Er schwamm im Pleroma, in der Fülle gestaltlosen Seins, von dem die Gnostiker geschrieben hatten in einer fernen Vergangenheit.
    Aus der durcheinanderfließenden Fülle von verlangsamten Informationen kristallisierte sich das Abbild eines älteren Mannes heraus, das Bildnis des Archonten Palmer Eldrich, füllte sich mit Leben (oder war es der Tod?) und gewann Festigkeit und Körperlichkeit, begann zu sprechen. Die Worte, Artikulationen eines langsamen, tiefen Logos, kamen ihm bekannt vor.
    »Ich bringe dich dorthin«, sagte der Tod. »Die Tests beweisen, daß dein Gehirn völlig ausgebrannt ist. Du kannst jetzt ruhen für alle Ewigkeit.« [9]
    Ihm fiel ein, daß er dies 1976 geschrieben hatte, in einem Nachwort zu einem Materialienband, der sich kritisch mit seinem Werk auseinandersetzte. Er erschrak.
    Der Archont hob seine Prothese, seine glühenden Augen sahen ihn durchdringend an und er redete weiter, mit einer metallisch harten Stimme, gefühllos, unbeteiligt, so, wie ein Gott voller Gleichgültigkeit auf die Verworrenheit seines von ihm geschaffenen Weltgebäudes hinabschaut.
    Ein neuer Schub von Informationen wurde dem Daliegenden eingegeben:
    »Am 18. Februar des Jahres 1982 erlitt in seinem Heim in Kalifornien der

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