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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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der Bann war gebrochen. Das war kein Bote aus dem Grab, es war nicht der Sensenmann oder ein entlaufener Irrer – es war nur Eleanor, seine Frau, seine große Liebe, mit Schlesischem Schlamm beschmiert und auf den frostigen Platten der Veranda zwei Stunden vor dem Frühstück und in stockfinsterer Nacht mit ein bißchen Tief-Atemgymnastik beschäftigt. Eleanor, es war nur Eleanor. Mit der Erkenntnis kam die Zuversicht und mit der Zuversicht die Leidenschaft. Er glitt in seinen Pantoffeln vorwärts und versuchte, sie in die Arme zu nehmen, aber die Deckenschichten behinderten ihn. Er klammerte sich fest an etwas, was er für einen Arm hielt, und stotterte: »Ich … ich wollte nachsehen, wie es dir geht …«
    »Um halb sechs Uhr morgens?«
    »Du hast mir gefehlt. Es ist schließlich Heiliger Abend. Oder der Morgen vom Heiligen Abend.«
    (Das war ein wunder Punkt zwischen ihnen. Will hatte über Weihnachten nach Hause fahren wollen, in das Haus in der Parsonage Lane, zu ihren Freunden und ihrer Familie, aber Eleanor hatte sich geweigert. Sie könne jetzt nicht weg, mitten in ihrer Behandlung – und er ebensowenig. Was dachte er sich eigentlich dabei? Aber nur für eine, höchstens zwei Wochen, hatte er entgegnet. Nein, sagte sie, nein. Er könne fahren, wenn er wolle – wiewohl das bei seinem Zustand Selbstmord gleichkomme –, aber sie würde sich von hier nicht wegbewegen. Hielt er sie etwa für eine Selbstmörderin? Dafür hielt er sie nicht, natürlich nicht, und er hatte eine Entschuldigung gemurmelt und war ernüchtert in sein Zimmer zurückgekehrt. Und so waren sie dageblieben, obwohl die Herbstsaison im San vorbei war und es in den Gängen täglich leerer wurde, um unter Fremden in der trostlosen, grauenhaften, eisbedeckten Ödnis von Südmichigan Nuttolene-Innereien und künstliche Gans zu essen.)
    Eleanor antwortete nicht. »Elf – ha, ha, pah! « keuchte sie. »Zwölf -ha, ha, pah! Dreizehn –«
    Will war am Erfrieren. Ein Schauder erschütterte seinen Körper so heftig, als hätte man ihn im Genick gepackt und würde ihn durchschütteln, Wirbel für Wirbel, bis in die Spitze seines Steißbeins. »Ich wollte nur sagen, daß ich ein Geschenk für dich habe, etwas Hübsches, das dir sehr gut gefallen wird – warte, bis du es siehst.«
    »– ha, ha, pah! « Sie beugte sich vor, um ihre Polster zurechtzurücken, und Will bemerkte ein elektrisches Kabel, das von ihrem Rücken herunterhing, sich um ein halbes Dutzend leerer Liegestühle schlängelte und seinen Weg zu einer Steckdose gleich hinter der Tür fand. »Das ist lieb von dir, Will«, murmelte sie, heißer Atem entströmte unsichtbaren Nasenlöchern, und sie lächelte ihn an, wobei sie in Kauf nahm, daß ihre Maske Risse bekam. »Ich hab’ auch was für dich.«
    »Dein Kabel hat sich verheddert«, sagte Will, obwohl es nicht stimmte, und er nutzte die Ablenkung, um sich ihr zu nähern und sich leidenschaftlich an ihren Kokon aus Decken zu klammern. Er senkte die Stimme zu einem ungestümen Flüstern. »Und ich hab’ jetzt eine Kleinigkeit dabei, willst du nicht mit in mein Zimmer kommen und die Größe ausprobieren …?«
    »Mach dich nicht lächerlich, Will – wir beschenken uns heute abend, wie wir’s ausgemacht haben, auf Franks Party für Dr. Kellogg.«
    Das wurmte ihn – » Franks Party für Dr. Kellogg« –, aber er überhörte es und klammerte sich nur noch feuriger an ihre Decken. Er fror. Sein Bademantel nutzte gar nichts. Ein frühmorgendlicher Wind pfiff über die Dächer und fing sich in seinen Ohren. Die Spitze seiner Nase war gefühllos. »Nein, nein«, flüsterte er, und er konnte nicht aufhören, mit den Zähnen zu klappern, »d-d-das m-meine ich nicht. D-d-du hast doch gesagt, d-d-daß du eine T-Tochter von m-mir willst, erinnerst d-d-du d-dich? Und ich, ich war … also jetzt bin ich bereit. Spürst d-d-du es nicht? Ich bin bereit, sie dir zu geben. Jetzt gleich. Auf der St-Stelle.« Er blickte ihr leidenschaftlich in die mit Schlamm umrandeten Augen. »K-kokomm mit in mein Zimmer.«
    »Das ist doch nicht dein Ernst?« Sie machte sich von ihm los, die kalte Morgenluft zischte durch ihre Nasenlöcher. »Eheliche Beziehungen sind strengstens untersagt, das weißt du doch.« Und dann lachte sie und schüttelte den Kopf. »Will Lightbody, du bist unmöglich. Unmöglich. Du hast dir den absolut ungeeignetsten Zeitpunkt ausgesucht – und was willst du überhaupt hier, im Bademantel und mit Hausschuhen? Bist du wahnsinnig? Du

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