Willkommen in Wellville
wirst dir den Tod holen.«
Aber Will wich bereits zur Tür zurück, sein Glied schlaff und aufgrund der Kälte winzig klein, Schultern hochgezogen, Arme zitternd. »F-f-fröhliche Weihnachten«, sagte er und nieste, »Eleanor.«
Aber sie hörte ihn nicht. Sie beugte sich vor, bog sich in der Hüfte und richtete sich wieder auf, wieder und wieder. Er hörte sie zählen, als er die schwere Tür zum Gang schloß: »Vierzehn – ha, ha, pah! Fünfzehn – ha, ha, pah! «
Der Rest des Vormittags verlief wie sonst auch. Um sieben begrüßte ihn Schwester Bloethal mit dem morgendlichen Klistier und begleitete ihn anschließend zum Speisesaal, wo er die ersten zwei Portionen Milch seiner letzten siebzehn Stunden Milchdiät zu sich nahm. Von hoch oben war verkündet worden: Alle Zeichen standen günstig, und Will sollte am ersten Weihnachtsfeiertag zur Traubenkur überwechseln. Die Nachricht war aufregend, großartig, eine Art irdisches Wunder. Schlag Mitternacht, zu Beginn des Tages, der dem Gedenken an die Geburt seines geistigen Erretters gewidmet war, gestattete Wills leiblicher Erretter ihm den großen Segen fester Nahrung. Trauben. Trauben in reicher Fülle, köstliche Trauben, heilende Trauben. Wie Will erfahren hatte, repräsentierte die Traubenkur die dritte Stufe auf der Nahrungsleiter zur vollständigen Genesung, und sie sah eine unbegrenzte Menge dieser fleischigen, runden, süßen und lebenerhaltenden Früchte vor – die goldene Muskattraube, die königliche Concord-, die bescheidene Thompson- und die fette rote Tokaiertraube –, die aus einer fernen, noch sommerlichen Ecke der Welt herangeschafft und einzeln liebevoll geschält wurden von Mrs. Stovers flinkfingrigen Diätassistentinnen. Will freute sich darauf. Trauben hatten ihre Grenzen, und er hatte in einem guten Jahr nie mehr als eine oder zwei gegessen, aber alles war besser als Milch. Zumindest konnte man sie kauen.
Nach dem Frühstück führte ihn Schwester Bloethal in die Männerturnhalle, wo er unter der gestrengen Führung des Schweden mit den großen Armen seine tägliche Gymnastik absolvierte, anschließend quälte er sich durch eine dumpfe Sitzung Lachübungen, und dann versank er im bebenden Vergessen der Vibrotherapie-Abteilung. All das war im Lauf der Zeit unglaublich langweilig geworden. Weit davon entfernt, eine positive Einstellung zu entwickeln, mußte Will feststellen, daß er zunehmend trübsinniger wurde, während er zusammen mit seinen Leidensgenossen seine Stelzenbeine verdrehte und sein nicht vorhandenes Hinterteil schüttelte – es war die Wiederkehr des Ewiggleichen, tagein, tagaus, eine Hölle für die Törichten und Kranken. Die einzigen Dinge, auf die er sich freute, waren Schwester Graves (und sie war heute indisponiert, zu Tode erschreckt durch eine kleine, menschliche Geste der Zuneigung) und sein Besuch in der Elektrischen Abteilung, der zu einem der wenigen Höhepunkte im Ablauf seines Alltags geworden war.
Er konnte nicht sagen, warum. Vielleicht lag es an der anfänglichen Überraschung, als er feststellte, daß man sich für das Sinusbad nicht öffentlich entkleiden, in ein öffentliches Becken steigen, Körperbehaarung und Teile der männlichen Anatomie enthüllen mußte, die besser bedeckt blieben. Es verlief alles gepflegt und höflich, und das gefiel ihm. Man mußte nur Ärmel und Hosenbeine hochkrempeln, während man ansonsten vollständig und anständig bekleidet blieb, und spürte das heilsame Prickeln der Elekrizität auf der Haut. Will hatte keine Ahnung, ob ihm die Behandlung auch nur die Spur guttat, aber er empfand sie als entspannend, und wenn sie auch kein richtiger Genuß war, so war sie doch zumindest keine Folter.
An diesem speziellen Tag saß er wieder einmal mit Homer Praetz, dem Industriemagnaten, im Sinusbad. Im Verlauf der vergangenen Wochen, während der gemeinsamen Mahlzeiten und ihrer Sinuskameradschaft hatte Will den Mann etwas besser kennengelernt. Unermüdlich, gehetzt, dynamisch, fleischig, schien Homer Praetz aus demselben Guß zu sein wie Wills Vater, obwohl Praetz jünger war, viel jünger, einer dieser Männer, die mit Haut und Haaren in ihre Rolle schlüpften, so daß es unmöglich war, ihr Alter zu bestimmen – er konnte alles zwischen dreißig und fünfzig sein. Er war König der Werkzeugmaschinen-Industrie von Cleveland und hatte es innerhalb ein paar kurzer Jahre geschafft, sein ursprünglich investiertes Kapital zu verhundertfachen und gleichzeitig seine Konkurrenten in
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