Willkommen in Wellville
den Ruin zu treiben; leider war dabei auch sein Magen draufgegangen und sein Herz in Mitleidenschaft gezogen worden.
Praetz hatte sich für Will im Speisesaal erwärmt, als er große Mengen von klebrigem Reis à la Carolina und indisches Mürbgebäck in sich hineinschaufelte, während Will seine asketischen Milchportionen zu sich nahm, und in Abwesenheit von Mrs. Tindermarsh und Hart-Jones, die beide über die Feiertage nach Hause gefahren waren, hatten sie begonnen, so etwas wie höhere Konversation am Tisch zu machen. Und während er sich für Will erwärmte, erwärmte sich Will für ihn, und er wurde lebhafter, scherzte mit Professor Stepanovich über die kollabierenden Ringe des Saturn und flirtete, soweit er sich traute, mit Miss Muntz. Zudem war Praetz’ Zeitplan geändert worden, so daß er jetzt nicht mehr nach, sondern vor dem Dampfbad in der Elektrischen Abteilung auftauchte und Will den beunruhigenden Anblick seiner stürmischen Nacktheit ersparte. An Tagen, an denen ihr Zeitplan übereinstimmte, saßen sie Seite an Seite auf ihren Sinusstühlen mit erhöht gelagerten Füßen und ins Wasser getauchten Händen und plauderten wie zwei Bankiers im Schuhputzsalon. Das war eine Vorstellung, mit der Will leben konnte.
»So, so, so, Lightbody«, Praetz kicherte, als er sich schwerfällig hinsetzte und begann, Schuhe und Socken auszuziehen, »ich wünsche Ihnen fröhliche Weihnachten – wie ich gehört habe, werden Sie ab morgen wie wir alle feste Nahrung zu sich nehmen, he?«
Alfred Woodbine, der tadellos gekleidete Assistent mit der steifen Fliege, dem makellosen Kragen und der Pomade im Haar, half Will auf den Stuhl neben Praetz. Will lächelte. Er blickte von Homer zu Alfred und wieder zurück. »Wissen Sie, ich hab’ so lange nichts mehr gegessen, ich weiß gar nicht mehr, wofür man Zähne braucht.«
»Wem sagen Sie das, Will.« Praetz seufzte, ließ seine Schuhe auf den Boden fallen und massierte seine dicken Füße so zärtlich, als würde er die Wange einer Geliebten streicheln. »Dr. Kellogg bringt uns Bescheidenheit bei, er führt uns zurück bis ganz zum Anfang, bis wir nichts weiter sind als ein schreiendes Baby mit rotem Gesicht, das sich an die Brust klammert … Vermutlich strebt er einen psychologischen Effekt an, er muß es wissen, Gott segne ihn, so viele Leben hat er gerettet – stimmt’s, Alfred?« Aber bevor Alfred noch zustimmen konnte, brach Praetz in schallendes Lachen aus.
Will grinste. »Was ist? Was ist los?«
»Ach, ich hab’ mir gerade gedacht …« Praetz beugte sich vor, sein Gesicht kugelrund vor Heiterkeit. »Ich meine, jetzt, wo Sie zahnen, was gibt’s zu essen? Grütze? Maisbrei? Oder Trauben?« Er lächelte hinterlistig, seine Augen traten aus den Höhlen. »Trauben, nicht wahr? Hab’ ich recht?«
Will machte es nicht aus, auf den Arm genommen zu werden. Es war ein rite de passage, eine Battle-Creek-Tradition, und insgeheim freute er sich, zu der nächsten Behandlungsphase zugelassen zu werden. »Ja«, gab er zu, »Trauben. Hummer wär’ mir allerdings lieber.« Das war witzig, sehr witzig, und die gekachelten Wände warfen sein jauchzendes Gelächter zurück.
»Hören Sie weg, Alfred – Sie haben’s doch nicht gehört, oder?« Praetz bewegte den Mund, als wäre ihm etwas zwischen den Zähnen hängengeblieben, und versuchte vergeblich, das Lachen zu unterdrücken, das durch seine Nasenlöcher entfleuchte wie ein hohes Wiehern.
Der Assistent schüttelte den Kopf, preßte die Lippen aufeinander, aber seine Augen verrieten ihn. Auch er spürte es, die Komik, die Heiterkeit, die Feiertagsstimmung, die ihrer aller Fesseln sprengte und sie zu leichtsinnigen Kindern werden ließ, die beim ersten Tageslicht auf den Baum losstürmen. Will juchzte.
Homer Praetz lehnte sich auf seinem Sinusstuhl zurück und schlug sich auf den Schenkel. »Als nächstes wird der Boss Sie auf Protose-Filets setzen, Will, und Sie werden so aufgeregt sein wie ein Bauernjunge bei seinem ersten Rendezvous.«
Das Lachen blieb Will im Hals stecken. Er sah zu Alfred auf, der sich über ihn beugte, um ihm die Ärmel aufzukrempeln, und wurde rot.
»Da brauchen Sie nicht rot zu werden, Lightbody«, krähte Homer und tauchte seine Füße in die großen galvanisierten Eimer, die vor ihm standen, »jetzt kommen Sie schon, Sie Fuchs, ich hab’ beobachtet, wie Sie Miss Muntz bei Tisch bearbeiten – na, na, leugnen Sie es nicht –, und ich würde auch kein Wort darüber verlieren, wenn ich nicht
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