Willkommen in Wellville
summte er keine Weihnachtslieder, und er hatte keine Geschenke im Sinn. Eleanor war irgendwo Schlittschuhlaufen – das hatte man ihm zumindest gesagt –, und Irene war indisponiert. Er blickte auf seine Füße und dachte an nichts, an überhaupt nichts.
Als er an die Ecke Washington/Champion kam, trat er, ohne sich umzusehen, auf die Straße und steuerte direkt auf das Red Onion zu. Haben Sie genug von Kleie und Sprossen? fragte das Schild über der Tür. Er hatte genug. Das Zeug hing ihm zum Hals raus. Die Tür schwang auf wie frisch geölt, der Kellner neigte den kahlen, glänzenden Schädel, und der Duft erinnerte ihn an das Paradies vor dem Sündenfall. Er bekam einen Tisch am Fenster zugewiesen, kariertes Tischtuch, tropfende Kerze. Der Kellner stand wartend neben ihm. »Whiskey«, sagte Will, und seine Stimme klang ihm fremd in den Ohren. »Einen doppelten. Und ein Bier zum Nachspülen.«
»Ja, Sir«, sagte der Kellner. »Einen doppelten Whiskey und ein Bier. Bevorzugen Sie eine bestimmte Marke?«
Will schüttelte den Kopf.
»Ja, Sir. In Ordnung. Und möchten Sie etwas essen?«
»Essen?« wiederholte Will, als hätte er das Wort noch nie gehört. Er sah sich in dem dämmrigen Raum um, das Feuer züngelte über den Kohlen, an der Bar sammelten sich Mistel- und Kiefernzweige und bierselige, fröhliche Gesichter. »Ein Hamburger-Sandwich«, sagte er schließlich.
»Ein Hamburger-Sandwich«, wiederholte der Kellner und kritzelte die Bestellung auf seinen Block. »Und wie wollen Sie es?«
»Wie bitte?« sagte Will.
»Wie wollen Sie es gebraten?«
Will überlegte einen Augenblick. Der schnurrbärtige Kellner stand über ihn gebeugt mit glänzender Stirn und leicht glasigen Augen. »Ach, ich weiß nicht«, sagte Will ausweichend und wedelte mit der Hand in der Luft, »ich glaube halbgar. Oder nein, nicht bloß halbgar – innen blutig.«
4.
DAS REKLAMESPIEL
Es dämmerte bereits, als Charlie Ossining ins Red Onion kam. Die letzten zwei Stunden hatte er damit verbracht, heißen Rumpunsch zu trinken auf der Party, die Bender für Stellrecht, den Papierfabrikanten, und eine Handvoll Lebensmittelhändler, Käufer, Getreidelieferanten, Presseleute und ein paar Repräsentanten der ortsansässigen Kutschenaristokratie gegeben hatte (»Potentielle Investoren, Charlie, potentielle Investoren«, hatte Bender ihn erinnert), und er fühlte sich gut. Ihm war warm, er war optimistisch und in Feiertagsstimmung. Bender hatte die Bar im Wee Nippy gemietet und Banner im Raum drapiert, die verkündeten »Kellogg’s Per-Fo – Das perfekte Nahrungsmittel!« und »Die neueste Gesundheitskost aus dem Hause Kellogg!«, was in der Post Tavern etwas gewagt – sogar subversiv – erschien, aber eine ganze Menge Leute war gekommen, um sich kleine Fleischbällchen und Crackers mit eingelegtem Hering einzuverleiben. Charlie hatte Hände geschüttelt und Punsch geschluckt und über Per-Fo geredet, bis er selbst wieder daran zu glauben begann.
»Reklame!« hatte Bender gebrüllt, als sie am Morgen zusahen, wie der Barkeeper die knallroten und weißen Banner an den Balken aufhing. »Ohne Reklame ist kein Produkt zu verkaufen!«
Charlie erinnerte ihn daran, daß sie bislang kein Produkt hatten.
Bender blieb unverzagt. »Schaff die Nachfrage, Charlie, und das Produkt folgt von allein, so sicher wie auf den Frühling der Sommer folgt.«
Sechs Wochen waren vergangen, seit Charlie mit Mrs. Hookstrattens Scheck angekommen war, und sie schienen ihrem Ziel keinen Schritt näher als am ersten Tag. Sie waren von beiden Kelloggs abgewiesen worden – Will Kellogg ließ sie nicht einmal durch das Tor seiner Toasted Corn Flake Company, und er hetzte ihnen noch vor Sonnenuntergang seine Rechtsanwälte auf den Hals –, und eine Fabrik war um keinen Preis zu bekommen. Das heißt, eine geeignete Fabrik. Rattenverseuchte Ruinen wie die Malta-Vita-Fabrik gab es en masse zu pachten, zu kaufen, zu mieten oder einzutauschen, aber Charlie schien die spezielle Art von Phantasie zu fehlen, die es brauchte, um sie sich in Betrieb vorzustellen, und seitdem George aufgetaucht war, hatte sich Bender für keine mehr auch nur im geringsten interessiert. »Wir bauen, Charlie«, rief er und wedelte mit Blaupausen herum, »alles neu und blitzblank vom Erdgeschoß an aufwärts. Zum Teufel mit diesen deprimierenden, ausgebrannten Schrotthäufen – wozu brauchen wir die, hä? Hinter uns steht jetzt George Kellogg!«
Ja. Natürlich, sicher. Und obwohl er kein
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