Willkommen in Wellville
sein Grinsen wurde breiter, bis er sich darauf konzentrieren mußte und das Glas nicht mehr gerade halten konnte. Whiskey lief an seinem Kinn hinunter und versickerte in seinem Kragen, den er geöffnet hatte und der bereits Ketchup-, Senf- und Steaksoßenflecken aufwies. »Klar erinnere ich mich«, dröhnte er, aber er nuschelte die Worte, und sein Blick war unruhig. »Charlie Ossining. Klar. Amelia Hookstratten, stimmt’s?«
»Stimmt.« Charlies Züge hellten sich auf. Der Mann war zwar vollkommen betrunken, aber nach wie vor eine nützliche Bekanntschaft, die Charlie sehr wohl zu schätzen wußte. »Ich hab’ Sie hier gesehen und mir gedacht, ich wünsch’ Ihnen alles Gute zu Weihnachten, ich meine –«
»Alles Gute«, nuschelte Will, und seine Stimme schien bis in die hinterste Ecke des Raums zu dringen, als hätte sie Tentakeln. Die Leute an der Bar wandten die Köpfe. Dem Kellner – Charlie kannte seinen Namen, Frank Loquatto – war es peinlich. »Klar. Ja. Ebenfalls alles Gute. Warum setzen Sie sich nicht zu mir? Trinken einen auf meine Rechnung, was? Jawohl, Charlie Ossining. Trinken wir auf Christi Geburt.« Er wandte den Kopf und winkte dem Kellner. »Noch eine Runde«, dröhnte er, »und Sie können diesen … diesen … Kram wegbringen, ja, okay? Also« – er wandte sich wieder Charlie zu, der seine Soleier abgestellt und sich einen Stuhl genommen hatte –, »Charlie Ossinig, wie zum Teufel geht’s Ihnen? Wie läuft das Frühstückskostgeschäft, Frühstückskost, stimmt’s? Ja? Also, wie läuft’s?«
Charlie erzählte ihm, es laufe gut, erzählte ihm, es laufe hervorragend, ganz prächtig. »Kellogg macht jetzt mit, George Kellogg – er ist der Sohn der Kelloggs, wissen Sie.«
Will Lightbody hatte eins von Charlies Eiern an den Mund gehoben. Er legte es wieder hin, vorsichtig, als wäre es noch in der Schale und müßte erst noch gekocht werden. Er koordinierte die Augen – das heißt, das aufsässige, schielende Auge kehrte an seinen angestammten Platz zurück. »Vor diesem Namen mach’ ich drei Kreuze. Kellogg« – er spuckte die Silben aus –, »er ist ein Schwindler, ein Heuchler, ein Scharlatan, ein Frauenverführer, ein Betrüger und ein …« Seine Stimme erstarb, und er fuchtelte angewidert mit einer langen, schlaffen Hand. »Er ist ein Mörder«, sagte er schließlich.
Charlie wußte nicht recht, wie er das verstehen sollte, deswegen ignorierte er es. »Ja, also, da steckt eine Menge Geld dahinter – und eine Menge Leute sind da anderer Meinung als Sie. Mein Partner, Goodloe H. Bender, behauptet, allein der Name Kellogg ist sein Gewicht wert in –«
»Tot vor meinen eigenen Augen, tot wie das hier, wie dieses Ei –«
»Sein Gewicht in Gold wert«, sagte Charlie und überging die Unterbrechung. »Gott allein weiß, wie viele Millionen dieser Name wert ist – es kommt nur auf die Reklame an, wußten Sie das?«
Will wußte es. Er senkte den Kopf und rieb sich den Nasenrücken in stummer Wertschätzung der Macht der Reklame. »Homer Praetz«, sagte er, dann warf er den Kopf zurück und trank sein Glas leer.
Charlie mochte den Kerl, wirklich. Er mochte im Zug wie ein leicht debiler Prinz gewirkt haben, aber hier schüttete er den Whiskey hinunter wie alle anderen auch. Plötzlich wollte er etwas für ihn tun, ihm eine Geste, ein Geschenk zukommen lassen. Die Inspiration traf ihn wie eine Faust zwischen die Augen: »Wie wär’s mit einem Teller Austern? Auf meine Rechnung. Wir teilen sie uns.«
»Müllschlucker«, setzte Will an, brach dann aber ab, schlug sich aufs Brustbein, neigte sich vor und träufelte etwas in sein Glas. Seine Stimme klang gepreßt, als er weitersprach: »Des. Meeres.«
»Ja, ich weiß«, Charlie lachte. »Zumindest haben Sie und Ihre Frau das behauptet. Aber es gibt nichts Süßeres, nicht der süßeste Fisch im ganzen Ozean, nicht die fetteste Krabbe oder der saftigste Hummer – stimmt’s?«
Will dachte einen Augenblick nach, als wägte er verschiedene Grade von Süße ab. Dann begann er zu nicken, als wäre er auf etwas gestoßen, als wäre sein Kopf aus Holz und jemand anders zöge an den Fäden. Ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. »Nichts Süßeres«, stimmte er zu, und im selben Augenblick schoß sein knochiger Arm in die Höhe, und er schnalzte mit den Fingern nach dem armen, finster dreinblickenden Frank Loquatto.
Während sie die Austern verzehrten, hüpfte das Gespräch von einem Thema zum anderen, von Mrs. Lightbodys
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