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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Spielverderber sein wollte, konnte Charlie nicht umhin, sich zu fragen, was ihnen das bislang genutzt hatte. Soweit er feststellen konnte, hatte der Gebrauch des Namens Kellogg bisher nichts weiter eingebracht als den nicht unbeträchtlichen Zorn der Frühstückskostbrüder und zwei Klagen wegen unrechtmäßiger Führung eines Markennamens – welche ihrerseits die sofortige Aufwendung eines erklecklichen Teils von Mrs. Hookstrattens dahinschwindender Investition nötig gemacht hatten, um die Anwaltskosten zu begleichen (für Bender war das nichts, überhaupt nichts, lediglich die Kosten, die Geschäfte nun mal mit sich brachten). Und was George selbst anbelangte, so war er, obwohl Charlie ihm bei Mrs. Eyvindsdottir ein Zimmer besorgt hatte, als ein weiterer hinfälliger Mieter seinem Schöpfer gegenübertrat, zu keinem Zeitpunkt verfügbar – ja, in der Regel sogar unauffindbar. Er schlief nicht in seinem Bett, die Kleidungsstücke, die sie ihm gekauft hatten, lagen verstreut in seinem Zimmer herum, und er selbst lag sturzbetrunken entweder in der kleinen Straße hinter dem Kurzwarenladen oder zusammengerollt auf einem Feldbett im Gefängnis von Marshall. Zweimal schon hatte Charlie eine Droschke mieten, die vierundzwanzig Meilen hin und zurück nach Marshall fahren und ihn auf Kaution herausholen müssen – warum es in Battle Creek kein Gefängnis gab, war ein weiteres Rätsel. Das erstemal hatte der Richter ihn freigelassen, aber das zweitemal – George war betrunken gewesen und hatte öffentlich Ärgernis erregt – hatte er zehn Tage bekommen. Also, George Kellogg stand hinter ihnen – und was hatten sie davon, außer daß sie ein Zimmer mieteten, das er nicht benutzte, für Mahlzeiten sorgten, die er nicht aß, da ihr geschätzter Geschäftspartner Zwangsarbeit auf den Bezirksstraßen ableistete?
    Aber an diesem Abend lag das alles hinter ihm. Er war gestärkt aus der Party hervorgegangen, war wieder voller Begeisterung. Bender wußte, was er tat. Charlie brauchte nur zuzusehen, wie er einen Tölpel aus dem Ort in einer Ecke bearbeitete, und er spürte, wie Geldscheine aus Benders Fingerspitzen sprossen; und die Kellogg-Sache mochte verrückt erscheinen, aber Bender würde so sicher den Dreh finden, damit sie funktionierte, wie Ford Automobile produzierte und Rockefeller Öl förderte. Außerdem war Weihnachten, und der Marsch zum Red Onion hätte jedermanns Stimmung gehoben, Kirchenglocken läuteten, Kinder sangen, Fremde riefen sich Glückwünsche zu, in jedem Fenster brannte eine Kerze, und an jeder Tür hing ein Kranz. Charlie trat durch die Tür, und ein halbes Dutzend Männer rief seinen Namen.
    An der Bar genehmigte er sich einen Drink mit John Krinck, einem jungen San-Patienten, der sich ab und zu davonstahl, um heimlich zu picheln, tauschte mit dem Barkeeper Sanatoriumswitze aus und trank einen auf Rechnung des Hauses. Dann kam Harry Delahoussaye und gab ihm einen aus. (Charlie hatte dem Mann schon längst verziehen, daß er versucht hatte, ihn am Abend seiner Ankunft reinzulegen – es war schließlich nichts Persönliches gewesen.) Charlie revanchierte sich. Als er die zusammengesackte, schlaksige, über einen Tisch am Fenster gebeugte Gestalt Will Lightbodys bemerkte, war er so ausgezeichneter Laune, wie es ein Mann, der kurz vor dem Delirium steht, nur sein kann. Spontan beschloß er, seinem ehemaligen Reisegefährten fröhliche Weihnachten zu wünschen, und er schlenderte hinüber zu dem Tisch, in der einen Hand ein Bier, in der anderen einen Teller mit Soleiern.
    »Will!« rief Charlie und schlug ihm im Überschwang der Begeisterung auf den Rücken, »ich bin’s, Charlie Ossining. Erinnern Sie sich? An die Zugfahrt?«
    Will Lightbody sah auf von einem Tisch, der überhäuft war mit schmierigen Tellern und Knochen, mit schmutzigen Gläsern, Töpfchen mit Ketchup, zerknüllten Servietten, Fischgräten, übriggebliebenen Pommes frites und von Zigarrenstummeln überquellenden Aschenbechern. Seine Augen schienen im Gesicht ein Eigenleben zu führen, das schielende Auge rollte in seiner Höhle herum wie eine Murmel auf einem chinesischen Brettspiel. Er wirkte gehetzt, saft- und kraftlos, verwelkt wie ein im Keller vertrockneter Apfel vom letzten Jahr. Wenn es das war, was das Sanatorium aus einem machte, wünschte es Charlie seinem ärgsten Feind nicht.
    »Erinnern Sie sich?« wiederholte Charlie lahm.
    Will Lightbody hob grinsend ein Glas mit dunklem, bernsteinfarbenem Whiskey an die Lippen,

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