Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
Vom Netzwerk:
seinem rasenden Puls, eintausend Dollar, eintausend Dollar, Per-Fo erledigt, der Scheck ein wertloser Fetzen Papier. Wie war das möglich? Lightbody hatte doch gar nicht so schlecht ausgesehen, oder? Oder vielleicht hatte er doch schlecht ausgesehen, schrecklich schlecht sogar, bleich, eingefallen, mit einem Bein im Grab, aber er hatte sich wacker gehalten. Alles gegessen, was irgendwie in Reichweite war. Gebrüllt, gelacht und getrunken wie ein Ire auf einer Beerdigung. Charlie wußte nicht, was er sagen sollte. Es war vorbei, erledigt, zu Ende, Zeit, aufzugeben und zurück zur Pension zu trotten, aber er konnte sich nicht von der Stelle rühren. Seine Hände klebten am Rand des Empfangstischs, als wäre er aus Teer, der Scheck schien sich durch das Hemd hindurch in seine Haut zu brennen, seine Füße verweigerten den Dienst.
    »Es tut mir leid«, wiederholte der Empfangschef. »Außerordentlich leid, Sir. Aber es gibt immer Hoffnung – und Sie dürfen nicht vergessen, daß sich Ihr Freund in keinem heiligeren Tempel der Gesundheit befinden könnte.«
    In diesem Augenblick drang eine andere Stimme in Charlies Bewußtsein, eine helle, sarkastisch zwitschernde Stimme, die in seinen Ohren tönte wie ein Spottvers auf dem Kinderspielplatz: »Wenn das nicht Mr. Charles P. Ossining ist, der Frühstückskost-Dynamo!«
    Er wirbelte herum und stand Eleanor Lightbody gegenüber, die in grünem Samt erstrahlte; sie trug das Haar über blutroten Ohrringen hochgesteckt, und an ihrem weißen, weißen Hals funkelte eine Kette aus Edelsteinen. Sie bedachte ihn mit dem Schmollmundlächeln, das einen auf die Palme brachte, dem Lächeln, das die Welt dazu aufzufordern schien, sich zu verneigen und ihr die Füße zu küssen. Oder das Hinterteil.
    »Und was führt Sie in unsere kleine Zitadelle der Gesundheit?«
    Der Scheck steckte in seiner Tasche, ihr Mann war am Verscheiden, mit Per-Fo tat sich immer noch nichts. Aber Charlie war zur Selbstbeherrschung fähig – sie war ihm in die Wiege gelegt worden –, und er hatte Charme, sah gut aus und konnte selber hinreißend lächeln. Er holte tief Atem. »Nun, Eleanor – und wie geht es Ihnen?« Er ließ sie einen Blick auf seine Zähne werfen. »Ich habe mich gerade nach einem Freund erkundigt … Aber wenn Sie nicht dem Feiertag entsprechend gekleidet sind!«
    Er hatte das Richtige gesagt. »Oh, das da?« murmelte sie und legte eine Hand vorne aufs Kleid. »Ja, man sagt allgemein, daß ich in Grün festlich aussehe.«
    »Es bringt Ihre Augen zur Geltung.« Charlie blickte in diese Augen, während er sprach, sah weg, als interessierte er sich plötzlich für die ältere Dame, die würdevoll die Treppe herunterkam, und versenkte sich wieder in sie. Er hörte auf zu lächeln. Auf einmal war er ernst, gemessen, ein mit Bedauern und Mitgefühl vollgesogener Schwamm. »Wie ich höre, hat sich der Zustand Ihres Mannes verschlechtert.«
    Jetzt lächelte auch sie nicht mehr, Betroffenheit machte sich um Oberlippe und Nasenflügel breit. (Er bemerkte, daß ihre Nasenflügel leicht gerötet waren – hatte sie geweint?) In diesem Augenblick fühlte er mit Will – der arme Kerl – und mit sich selbst und dem wertlosen Scheck, und er fühlte sogar mit Eleanor, stellte sie sich als Witwe vor, reich wie ein Pfau in einem Nest aus Federn und hilfsbedürftig, sie brauchte die Unterstützung eines jüngeren Mannes, der ihre Tage aufhellte, den sie verhätscheln und verwöhnen und abends mit in ihr Bett nehmen konnte …
    Ihre Stimme war leise. »Leider«, sagte sie.
    Um sie herum setzte Geschäftigkeit ein. Die ältere Dame bog um die Ecke und verschwand im Blätterwerk des Dschungels, eine Schwester flatterte vorüber, der Empfangschef richtete seine triefenden Augen auf einen tweedgewandeten Mann mittleren Alters, der plötzlich an der Rezeption stand. Das Telephon klingelte. Gepäck traf ein. Eine Küchenhilfe rollte einen Wagen mit zugedeckten Schüsseln in den Aufzug. Selbst an Weihnachten wurde das Geschäft des Heilens weiterbetrieben.
    »Ist es – ist es ernst?« fragte Charlie.
    »Alles ist ernst«, sagte sie, die Arme in die Hüften gestemmt. Ihre Augen bohrten sich in die seinen, und das Kleid rutschte ein paar Zentimeter hoch und gab ein Paar knallroter Lacklederschuhe preis. »Die Welt ist ernst. Das Leben ist ernst. Aber hören Sie, es ist Weihnachten, mein Mann ist« – sie ließ die Hand sinken wie ein Fallbeil – »indisponiert, und es ist unhöflich von mir, Sie hier in der Halle

Weitere Kostenlose Bücher