Willkommen in Wellville
Überzeugung sind, daß solcherlei Gift in jeder zivilisierten Gesellschaft verbannt und verboten werden muß und wird.«
Charlie hob die Hände, tat, als kapituliere er. »In Ordnung, mea culpa, tut mir leid, verzeihen Sie mir.« Eleanor lachte. Das Mädchen versuchte wieder zu lächeln, aber es gelang ihr nur unzureichend.
»Ich helfe Ihnen«, sagte Eleanor, legte eine Hand auf sein Handgelenk und zog die Speisekarte ein Stück zu sich hin. »Hier«, sagte sie, »hier unten: Getränke. Der Doktor bietet heute Sorghum-Tee an, Gesundheitskoko, Kumyß, heiße Nußmilch, Milch natürlich und einen speziellen Weihnachts-Eierflip – mit Orangen-Moosbeeren-Flocken und Zimtgeschmack. An Ihrer Stelle würde ich Kumyß bestellen.«
Ihre Hand lag noch immer auf seinem Handgelenk. Er konnte ihr Parfum riechen. Plötzlich fühlte er sich schwindlig, und ihm fiel ein, daß er seit dem vergangenen Abend nichts mehr gegessen hatte – und da auch nur ein Hamburger-Sandwich, das wie ein Floß in einem Wirbelsturm aus Schnaps auf den Wellen hin und her geschleudert worden war. Sein Kopf schmerzte. Ihm war schlecht. »Kumyß?«
Eleanor zog die Hand zurück, paßte ihren Rücken der Stuhllehne an. »Es wird Ihnen schmecken. Vertrauen Sie mir.«
Die Kellnerin ließ sie allein, und Charlie stellte fest, daß er in Eleanors Augen starrte. Irgendwo hatte er gelesen, daß grüne Augen auf eine leidenschaftliche Natur schließen ließen – oder waren es braune Augen? Egal, bei Mrs. Eyvindsdottir lebte er wie ein Eunuch, und Eleanors Gegenwart erregte ihn. »Ja«, sagte er, »ich bin sicher, daß Sie mich nicht in die Irre leiten. Aber wir sprachen gerade über Ihren Mann, über Will – was ist passiert? Was ist los mit ihm?«
Sie kniff die Lippen zusammen, spielte mit dem Besteck. Nach einer Weile fragte sie: »Haben Sie ihn in letzter Zeit gesehen?«
»Nein«, log Charlie.
Sie seufzte. »Es ging ihm wirklich besser – unermeßlich viel besser. Das haben alle gesagt. Er hätte heute mit der Traubendiät beginnen sollen.«
Charlie zog die Augenbrauen hoch.
»Seine erste feste Nahrung. Doktor Kellogg hatte ihn zuerst auf eine Ballaststoff-Diät gesetzt, damit sein Verdauungssystem gereinigt wird – grinsen Sie nicht, Mr. Ossining, und glauben Sie nicht, einen Bereich menschlichen Wissens leichtnehmen zu können, von dem Sie absolut keine Ahnung haben, noch dazu Sie, ein Mann im Frühstückskostgeschäft … Nun, wie auch immer, seitdem war er auf der Milchdiät, um seine Darmflora zu revitalisieren und seine Verdauung zu verbessern, und heute hätte er zu Trauben überwechseln sollen.«
In diesem Augenblick stürmte ein spindeldürrer, hakennasiger Mann, angetan mit den Schellen und dem Narrenkleid eines Elfen oder Hofnarren, auf einer Mandoline klimpernd durch die Tür. Er spielte eine Melodie von Sousa – Bonnie Annie Laurie –, und ausnahmslos alle Gäste klatschten und lachten. Eleanor wandte den Kopf und lächelte, ein reines, unkompliziertes Lächeln. Auch Charlie lächelte. Es war nicht zu leugnen – allein aufgrund ihrer Anwesenheit schwindelte ihm, ganz zu schweigen von dem Umstand, daß er allein mit ihr speiste, wie Mann und Frau. Sie war drei oder vier Jahre älter als er und obendrein verheiratet. Aber sie hatte Klasse, absolute Klasse. Wenn Per-Fo florierte, wenn er ein Tycoon wäre und eine Instanz, mit der zu rechnen war, mit eigenem Automobil und maßgeschneiderten Anzügen und einem eigenen Billardtisch, dann wollte er so eine Frau an seiner Seite. Genau so eine. Haargenau so eine. »Ja?« lieferte er das Stichwort. »Und was ist dazwischengekommen?«
Sie runzelte die Stirn, und jede Spur von Heiterkeit war aus ihren Zügen verschwunden. »Will hatte einen Ausrutscher. Letzte Nacht. Irgend etwas Schreckliches ist passiert – im Sinusbad –, irgendein Unfall. Ich weiß immer noch nichts Genaues, aber es hat ihn aus dem Gleichgewicht geworfen. Wissen Sie« – sie neigte sich zu ihm, senkte vertraulich die Stimme –, »mein Mann ist suchtgefährdet.«
Der Hofnarr schlenderte durch den Raum, spielte jetzt Weihnachtslieder und sang dazu mit einer hohen, gepreßten, nasalen Jammerstimme, die der alten Dame am Nebentisch Tränen in die Augen trieb. Eine Handvoll Leute begann im Takt zu klatschen und mitzusingen.
Eleanor war noch immer da, neigte sich noch immer ihm zu. »Zuerst war es Fleisch, dann Alkohol und zum Schluß, obwohl ich lieber nicht daran denke, Opium. Es hat ihn ruiniert, wirklich. Hier
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