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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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stehen zu lassen wie jemanden, der mit Kurzwaren hausiert oder etwas an der Haustür verkaufen will, verzeihen Sie mir bitte.« Und jetzt zog sie die Augenbrauen hoch und bedachte ihn mit dem altbekannten amüsierten Blick. »Haben Sie schon gegessen, Mr. Ossining?«
    Er hatte sich gefragt, ob er die Sache mit dem Scheck ansprechen sollte, aber in diesem Augenblick entschied er sich dagegen. Hier standen sie, plauderten wie alte Freunde, die Königin, die von ihrem Podest heruntergestiegen war, und Charlie, der sich verhielt wie der Magnat, der zu werden er bestimmt war. Der Scheck hätte die Dinge nur besudelt, und sie wären wieder in ihre alte Tonart verfallen. Er lächelte sie wieder an. »Nein. Nein, noch nicht.«
    »Wollen Sie mit mir essen?«
    Charlie wußte nicht, was er sagen sollte. Sein Lächeln wurde unsicher. »Sie meinen- hier?«
    »Selbstverständlich.« Sie lachte, und ihr Lachen verschwor sich mit ihm, es war herzlich und kumpelhaft, die Art Lachen, auf die er gehofft hatte, als er ihr vor der Post Tavern über den Weg gelaufen war. »Wissenschaftlich zu essen wird Sie nicht umbringen, Mr. Ossining – nicht, wenn Sie es nur ein einziges Mal versuchen. Aber ich warne Sie, seien Sie vorsichtig – man weiß nie, wozu es führen kann.«
     
    Der Speisesaal war grandios, alles, was Benders Post Tavern zu bieten hatte, wirkte im Vergleich dazu zwergenhaft, es war ein riesiger Saal mit Säulen, der ein römisches Bad hätte sein können oder das Trainingsquartier für Gladiatoren – Bären, Löwen, Bullen, alles. Alle zehn Schritte sprossen Palmen aus dem Boden, Kronleuchter funkelten, und ein Meer elegant gedeckter Tische erstreckte sich auf dem polierten Marmorboden bis zu den großen grauen Fenstern, die auf die Größte Kleinstadt in den USA hinausgingen. Der Raum war beeindruckend – das sollte er auf eine protzige, pompöse Art auch sein –, aber bis auf ein paar wenige besetzte Tische war er weitgehend leer; außer ihnen waren vielleicht noch fünfzig Personen anwesend. »Es ist wegen der Weihnachtsfeiertage«, sagte Eleanor, während eine forsche kleine Frau mit großer Oberweite sie zu ihrem Tisch führte und Stühle für sie zurechtrückte. »Die meisten Patienten sind nach Hause gefahren. Oder sie speisen in ihren Zimmern.«
    Charlie entfaltete seine Serviette und legte sie auf seinen Schoß. »Und was ist mit Ihnen?«
    »Oh, ich bin viel zu krank, um zu reisen. Ich bin leider die klassische Neurasthenikerin – das sagt zumindest Dr. Linniman. Ich bin viel zu empfindlich, habe eine zu dünne Haut, grüble zuviel nach über die Dinge, beschäftige mich zuviel mit dem Lauf dieser traurigen alten Welt. Die kleinste Kleinigkeit bringt mich aus dem Gleichgewicht – der Regen, der gegen das Fenster schlägt, eine alte Frau, die über die Straße geht, meine Küche. Das alles ist selbstverständlich eine Frage der Ernährung.« Sie lachte. »Und Will. Er wollte nach Hause fahren. Nach Peterskill. Die ödeste Stadt auf der Welt. Und sehen Sie sich ihn jetzt an.«
    Charlie wollte das Thema weiterverfolgen – ja, sehen wir ihn uns an; was fehlt ihm eigentlich? –, aber ein blau-weiß gekleidetes Mädchen mit einer Haube, die wie eine gefaltete Serviette auf ihrem Kopf saß, stand jetzt neben ihnen. »Guten Tag, Mrs. Lightbody. Guten Tag, Sir. Ich wünsche Ihnen beiden fröhliche Weihnachten. Was darf ich Ihnen zu trinken bringen?« fragte sie und reichte beiden eine Speisekarte.
    »Danke, Priscilla, Wasser«, sagte Eleanor, und Charlie beobachtete, wie die Ohrringe ihre Wange streiften, als sie auf die Speisekarte hinunterblickte. Er kämpfte gegen den Drang, sich vorzubeugen und einen der Ohrringe in den Mund zu nehmen.
    »Und Sie, Sir?«
    »Whiskey und Soda«, murmelte er, bevor ihm klar war, was er sagte. Eleanor legte eine Hand vor den Mund, um ein Kichern zu unterdrücken; ihre Augen nahmen ihn ins Visier wie damals am ersten Abend im Zug, sie stachen wie Nadeln, bohrten sich in ihn hinein, taxierten ihn mit einem schnellen, gewieften Blick.
    Die Kellnerin war schockiert. Einen Augenblick lang war sie sprachlos. Aber dann, mit zittrigem Lächeln und indem sie jedes Wort aussprach, als läse sie einen Text vor, hielt sie ihm einen knappen kleinen Vortrag. »Es tut mir sehr leid, Sir, sehr leid, wirklich, aber dies hier ist ein Tempel der rechten Lebensweise – und der rechten Denkweise –, und wir servieren keine schädlichen Alkoholika. In der Tat ist es so, Sir, daß wir der festen

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