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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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hat er eine letzte Chance, das ist meine ehrliche Meinung, Mr. Ossining.« Sie sah zu ihm auf, und in ihrem Blick lag die Bitte um Mitgefühl, Zustimmung, Hoffnung.
    Charlie gab ihr all das und mehr, er bedachte sie mit einem Blick, der besagte: Ich-verstehe-ich-weiß-und-ich-fühle-aus-ganzem-Herzen-mit-Ihnen, aber er war in Hochstimmung. Das war es also – Lightbody war verkatert. Verkatert. Auch Charlie war verkatert, und dabei war ihm nichts weiter passiert, abgesehen von den üblichen Kopfschmerzen und einem flauen Gefühl im Magen. Herr im Himmel, was waren diese Kleiefresser doch für Idioten, mußten aus allem gleich ein Drama machen. Verkatert. Man hatte ja annehmen müssen, jemand hätte ihm ein Messer in den Bauch gerammt, oder ein paar Schauerleute hätten ihn sich vorgeknöpft, man hatte annehmen müssen, er hätte Magenkrebs oder wäre gelähmt. Was für ein beschissener Schwachsinn. Er überlegte gerade, daß er in ein paar Tagen wiederkommen würde, mit dem Scheck und einem halben Liter Old Overholt, damit sich der Kerl entspannte, als die Kellnerin auftauchte, mit einem Glas Wasser für Eleanor und dem Kumyß – einem schaumigen weißlichen Gebräu –, und beides auf dem Tisch abstellte. »Wollen Sie jetzt bestellen?« fragte sie.
    »Ja, natürlich«, murmelte Eleanor. »Wenn es Ihnen recht ist, Mr. Ossining, dann bestelle ich für uns beide – da ich mit der antitoxischen Diät vertraut bin.«
    Charlie nickte und grunzte zustimmend. Sicher, warum nicht? Er konnte auf dem Nachhauseweg immer noch dem Red Onion einen Besuch abstatten.
    Eleanor bestellte, und die Namen der Gerichte kamen über ihre Lippen, als hätte sie sie, einer Eingebung des Augenblicks folgend, in einem Anfall kulinarischer Improvisation erfunden. Dann war die Kellnerin wieder verschwunden, und Eleanor erkundigte sich nach Per-Fo. »Ich bin neugierig«, sagte sie. »Haben Sie bereits mit der Produktion begonnen? Ich meine, es muß doch schwierig sein bei so vielen Konkurrenten –«
    Charlie antwortete mit dem üblichen Blabla, darauf bedacht, nicht in die Terminologie zu verfallen, über die sie sich bei früheren Gelegenheiten lustig gemacht hatte. Er erzählte von dem Andrang neuer Investoren für die Fabrik – ein reines Lügenmärchen – und von der Entschlossenheit seines Partners, für ein neues Produkt eine neue Fabrik zu bauen, statt die Anlage eines Konzerns zu übernehmen, der bankrott gegangen war.
    »Und wie gedenken Sie, ein ähnliches Schicksal zu vermeiden?« fragte sie; sie kokettierte noch immer mit ihm, verspottete ihn noch immer, aber irgendwie war sie auch aufrichtig. Er spürte, daß sich ihr Verhältnis gewandelt hatte, spürte, daß sie nachgegeben hatte. Sie war es zufrieden, in diesem Augenblick hier mit ihm zu sitzen, während der Mandolinenspieler sein dämliches Zeug jodelte und die künstliche Gans in ihren künstlichen Säften brutzelte, und der Raum war auf die Größe des Tisches geschrumpft, an dem sie beide saßen. Ihr hochgeschätzter Doktor war nirgendwo zu sehen, ihr Mann kauerte über einer Bettpfanne: Sie war froh über seine Gesellschaft.
    »Indem wir ein höherwertiges Produkt anbieten«, sagte er, »und indem wir Reklame dafür machen. Reklame ist der Schlüssel zum Erfolg. Das ist der moderne Weg.« Er gestikulierte ausladend, erwärmte sich für das Thema, kaute Benders Sprüche wieder. »Man muß eine Nachfrage schaffen – gleichgültig, wie gut das Produkt ist, gleichgültig, welche Vorzüge und Verdienste es aufweisen kann, es ist eine Totgeburt, wenn die Öffentlichkeit nicht darauf vorbereitet ist. Wußten Sie, daß C.W. Post eine Million für Reklamezwecke allein im letzten Jahr ausgegeben hat? Eine Million Dollar.«
    Eleanors Hände lagen gefaltet auf dem Tisch, ihr Ehering blitzte aus dem Nest ihrer Finger hervor. Sie saß vollkommen reglos da und beobachtete ihn, wie ein Naturforscher eine exotische Tierart in der Wildnis beobachten mochte, mit diesem leisen spöttischen Lächeln auf den Lippen.
    »Was ist?« sagte er. »Was ist los?«
    Pause. »Sie haben Ihren Kumyß noch nicht probiert.«
    Hatte er nicht. Er hatte es völlig vergessen. Da stand er, überzog das Glas mit schleimfarbenem Schaum, der ihn an das Ufer des Hudson bei Ebbe erinnerte. Er nahm das Glas und trank einen Schluck.
    Es schmeckte ranzig, und beinahe wäre es ihm wieder hochgekommen. Das Zeug war buchstäblich faulig, was immer es war. Es roch wie ein nasser Hund und schmeckte wie ranzige Butter, wie

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